Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts zur Abweichung vom Equal Pay

Im Rah­men der „Däubler-Kam­pagne“ (siehe auch Labour­net) hat­te das Bun­de­sar­beits­gericht dem EuGH am 16. Dezem­ber 2020 (Az. 5 AZR 143/19) diverse Fra­gen zur Vere­in­barkeit des deutschen Tar­if­sys­tems in der Arbeit­nehmerüber­las­sung mit der Lei­har­beit­srichtlin­ie (RL 2008/104/EG) vorgelegt, zu denen nun der Gen­er­alan­walt beim EuGH in seinen Schlus­santrä­gen zur Abwe­ichung vom Equal Pay Stel­lung genom­men hat.

Hin­ter­grund der Vor­lage ist Art. 5 Abs. 3 der Lei­har­beit­srichtlin­ie (RL 2008/104/EG), der bes­timmt, dass Tar­ifverträge in der Lei­har­beit den Gle­ich­stel­lungs­grund­satz zwar unter­laufen kön­nen, dies jedoch nur, wenn dies unter Achtung des „Gesamtschutzes“ in Bezug auf die Arbeits- und Beschäf­ti­gungs­be­din­gun­gen von Lei­har­beit­nehmern im Kun­den­be­trieb geschehe.

In seinen Schlus­santrä­gen vom 14. Juli 2022 bejahte der Gen­er­alan­walt beim EuGH die Möglichkeit zur Abwe­ichung vom Gle­ich­stel­lungs­grund­satz durch Tar­ifverträge grund­sät­zlich. Allerd­ings sei der Begriff „Gesamtschutz“, anders als es der eine oder andere deutsche Rechts­gelehrte ver­ste­he, nicht als unverbindlich­er Pro­gramm­satz, son­dern als ein vom Geset­zge­ber und den Tar­if­parteien zu beach­t­en­der Rechts­grund­satz zu ver­ste­hen. Eine neg­a­tive Abwe­ichung vom Equal-Pay-Grund­satz per Tar­ifver­trag sei somit zwar zuläs­sig, müsse jedoch durch andere gewichtige Vorteile aus­geglichen werden.

Der Gen­er­alan­walt sieht die Tar­ifver­tragsparteien selb­st in der Pflicht, Kri­te­rien und Bedin­gun­gen für diesen „angemesse­nen Aus­gle­ich“ festzule­gen. Dafür spricht er ihnen auch einen weit­en Beurteilungsspiel­raum zu. Den­noch müsse der Aus­gle­ich in seinem Gewicht dem Arbeit­sent­gelt als fun­da­men­taler Beschäf­ti­gungs­be­din­gung entsprechen, während bloß sym­bol­is­che Zahlun­gen nicht aus­re­ichend für die Ein­hal­tung dieses Prinzips seien.

Die Auf­fas­sung des Gen­er­alan­walts ist noch nicht die Entschei­dung des EuGH und somit nicht rechtsverbindlich. Häu­fig fol­gt der EuGH allerd­ings dessen Rechtsauffassung.

 

AMETHYST-Kommentar zur Abweichung vom Equal Pay

Sofern der EuGH dem Gen­er­alan­walt in seinen Anträ­gen fol­gt, sind die Fol­gen prob­lema­tisch. Allein als Folge der Aus­sage, dass es sich bei dem „Gesamtschutz“ aus Art. 5 Abs. 3 der Lei­har­beit­srichtlin­ie um einen verbindlichen Rechts­grund­satz han­dele, kön­nte das gesamte deutsche Sys­tem aus geset­zlich­er Gle­ich­stel­lung und Tar­i­faus­nahme ein­er gerichtlichen Kon­trolle unter­zo­gen wer­den. Im Rah­men dieser Kon­trolle wür­den dann die jew­eili­gen Ent­gelt­niveaus bzw. son­stige Aus­gle­ich­sleis­tun­gen miteinan­der ver­glichen und am Gle­ich­stel­lungs­grund­satz gemessen wer­den. Bei dem Aus­gangs­fall mit ein­er Ent­gelt­d­if­ferenz von ca. vier Euro pro Stunde ist unter diesen Voraus­set­zun­gen nur schw­er vorstell­bar, noch von der Ein­hal­tung des Gesamtschutzes auszuge­hen. Eine Entschei­dung des EuGH kön­nte daher laut­en, dass die Regelun­gen des AÜG zum Equal Treat­ment zwar richtlin­ienkon­form sind, die Umset­zung in den Zeitar­beit­star­ifverträ­gen jedoch nicht.

Das ist beson­ders prob­lema­tisch vor dem Hin­ter­grund, dass der deutsche Geset­zge­ber mit der AÜG Reform 2017 das deutsche Sys­tem mit reinen Tar­i­flöh­nen für die Branche (seit 2017 nur noch in den ersten neun Monat­en der Über­las­sung), teil­weise gekop­pelt mit Branchen­zuschlä­gen, als rechtswirk­same Basis für die Neu­for­mulierung des Geset­zes ange­se­hen hat­te. Auch sind die hier in Frage ste­hen­den Tar­ifverträge der Arbeit­nehmerüber­las­sung mit Gew­erkschaften aus dem Deutschen Gew­erkschafts­bund abgeschlossen wor­den, anders als dies bei der Entschei­dung des BAG v. 14. Dezem­ber 2010 (1 ABR 19/10) noch der Fall war (damals mit den christlichen Gew­erkschaften in der CGZP).

Gle­ich­wohl kön­nte die Kon­se­quenz ein­er solchen Entschei­dung des EuGH, die dann noch vom BAG in nationales Recht zu über­tra­gen wäre, Ansprüche von Arbeit­nehmern auf Equal Treat­ment bzw. Beitragsnach­forderung der deutsche Renten­ver­sicherung auf die Equal Pay-Dif­feren­zen (BSG v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14) sein. Ein solch­es Ergeb­nis hängt freilich von zahlre­ichen Unbekan­nten ab; ob die Rechts­folge also tat­säch­lich ein „CGZP II“ ist, ist daher offen, jedoch nicht unmöglich. Immer­hin sind die Lohn­dif­feren­ziale zwis­chen Kun­den­lohn und gezahltem Tar­i­flohn mit­tler­weile deut­lich geringer als in den Jahren bis 2010, was poten­zielle Nach­forderun­gen im Ver­gle­ich zu damals erhe­blich ver­ringern dürfte – sofern es über­haupt dazu kommt. Es bleibt span­nend in dieser Frage.