Vorsicht bei Vermittlungsprovisionen von mehr als zwei Bruttomonatsgehältern!
Zu einem Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 05.12.2022 – 3 U 146/22
Angesichts des Fachkräftemangels war es in den vergangenen Jahren durchaus gängige Praxis, für die Übernahme überlassener Arbeitnehmer durch die Kunden eine Vermittlungsprovision von mehr als 2,0 Bruttomonatsgehältern zu verlangen. Eine solche Praxis schien nicht nur durch die Marktlage gerechtfertigt, sondern auch durch die Formulierung in § 9 Abs. 1 Nr. 3 AÜG, der zufolge die geforderte Provision „angemessen“ sein müsse, ohne dass hierbei eine konkrete Höhe genannt wird.
Der Bundesgerichtshof hatte mit seinem Urteil vom 10.03.2022 – III ZR 51/21, Rz. 19 – dennoch überraschend deutlich festgestellt, dass eine finanzielle Belastung des vormaligen Entleihers und neuen Arbeitgebers für eine Übernahme des Arbeitnehmers nach bis zu dreimonatiger Überlassungsdauer, die eine Vergütung von zwei Bruttomonatsgehältern übersteigt, mit der sozialpolitischen Zielsetzung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 AÜG nicht vereinbar und daher im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Hs. 2 AÜG nicht angemessen sei.
In der Praxis musste man sich dennoch fragen, ob diese Grenze von zwei Gehältern nun wirklich für alle Fälle gelte oder ob es Ausnahmen hiervon geben könne. Dem kundigen Leser drängte sich nämlich der Eindruck auf, der BGH habe sich bei dieser Entscheidung nicht mehr so richtig an seine alte Rechtsprechung aus den Jahren 2010 und 2011 erinnert, in der die Grenze von zwei Bruttomonatsgehältern quasi als Untergrenze als in jedem Falle angemessen beschrieben (z.B. v. 10.11.2011 – III ZR 77/11) und kein Höchstwert definiert wurde.
Zu dieser Frage gab es nun einen interessanten Rechtsstreit unter Beteiligung unserer Kanzlei vor dem OLG Stuttgart (3 U 146/22), welcher nach dem Hinweisbeschluss desselben vom 05.12.2022 etwas ungewöhnlich durch Berufungsrücknahme endete. Der Sachverhalt ist schnell berichtet: Nach kurzer Überlassungsdauer hatte der Kunde vom Personaldienstleister eine Arbeitnehmerin (Pflegefachkraft) übernommen und hierfür eine Provision von 2,5 Bruttomonatsgehältern gezahlt. Später überlegte es sich der Kunde anders und forderte den Provisionsbetrag zurück mit der Begründung, dass dieser rechtswidrig überhöht gewesen sei. Eine interessante Besonderheit des Falls lag auch darin, dass der Kunde die Provision bereits bezahlt hatte und den Betrag im Nachhinein zurückforderte.
Insoweit war zunächst das Landgericht Stuttgart in erster Instanz dazu aufgefordert zu beurteilen, ob in dem Fall der Vermittlung einer Pflegefachkraft, für die Provisionssätze bei reiner Arbeitsvermittlung von 3,0 oder 4,0 Gehältern marktüblich sind, bei einer Vermittlung nach Arbeitnehmerüberlassung auch die Höchstgrenze von zwei Gehältern gilt – was das Gericht bejahte (v. 04.07.2022 – 35 O 60/22 KfH – nicht veröffentlicht). Auch die bereits geleistete Zahlung wertete das Gericht nicht als bindendes Schuldanerkenntnis.
Auf die hiergegen eingelegte Berufung erließ das OLG Stuttgart nun den o.g. Hinweisbeschluss und teilte darin mit, die Berufung des Personaldienstleisters sei aussichtlos, weil die Vereinbarung von Provisionen über 2,0 Gehältern grundsätzlich unzulässig sei. Wir zitieren (teilweise etwas gekürzt) aus diesem Beschluss: „Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat:
Zum Anerkenntnis durch Zahlung
Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält … regelmäßig keine Aussage des Schuldners, den Bestand der erfüllten Forderung außer Streit stellen zu wollen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, der vorbehaltlosen Begleichung einer Rechnung zugleich eine Anerkenntniswirkung hinsichtlich der zu Grunde liegenden Forderung beizumessen. Dies erfordert aber stets ein Vorliegen weiterer Umstände, die geeignet sind, eine derartige Wertung zu tragen (BGH, Urteil vom 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, Rz. 12). Solche Umstände liegen hier nicht vor. …
Zur Provisionshöhe
… Die in § 11 Abs. 5 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags bestimmte Höhe der Vermittlungsprovision stellt keine angemessene Vergütung für die erfolgte Vermittlung im Sinne der genannten Vorschrift dar. Die unangemessene Höhe führt zur Unwirksamkeit der Provisionsvereinbarung.
Bei der von dem Bundesgerichtshof postulierten Grenze von zwei Bruttomonatsgehältern handelt es sich – wie sich aus der von ihm gewählten Formulierung unzweideutig ergibt – weder um einen „Regelsatz“ noch um einen „Sockelbetrag“, sondern um einen Höchstwert, bis zu dem von einer Angemessenheit und bei dessen Überschreiten von einer Unangemessenheit der Vergütung auszugehen ist. Bei der bezeichneten Grenze handelt es sich auch nicht um einen aus rechtshistorischen Gründen angegebenen, sondern um den aktuellen Höchstwert, der die Annahme einer Angemessenheit der Vergütung noch zulässt. Bei der Bezeichnung des Höchstbetrags wird nicht aus unter den Verhältnissen des Jahres 2011 ergangenen Entscheidungen zitiert oder „aus früheren Urteilen abgeschrieben“, sondern ein Grundsatz bezeichnet, der – nachdem er im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung aufgestellt worden ist – von den aktuellen Verhältnissen ausgeht und deshalb auch für die Gegenwart Geltung beansprucht. … Der Umstand, dass zwischenzeitlich die Arbeitslosenquote für Fachkräfte gesunken und der Rekrutierungsaufwand gestiegen ist, war dem Bundesgerichtshof offenkundig ebenso geläufig wie der Umstand, dass dies den Gesetzen des Marktes folgend Auswirkungen auf die Höhe des durchschnittlichen Bruttoeinkommens von Fachkräften und damit auf die Höhe von vom Bruttoeinkommen zu berechnenden Vermittlungsprovisionen hatte. …
… Ein Erfahrungssatz, dass eine verlangte Provision, die ohne Widerspruch bzw. vorbehaltlos gezahlt wird, marktüblich ist, existiert offenkundig genauso wenig wie ein Erfahrungssatz, dass eine verlangte Provision nicht marktüblich ist, wenn sie nur unter Protest bzw. Vorbehalt gezahlt wird.
AMETHYST-Kommentar
Wir halten die Entscheidung des OLG Stuttgart nicht nur für aus der Zeit gefallen, sie ist auch mit der Gesetzesbegründung nicht in Einklang zu bringen.
Aus der Zeit gefallen ist die Entscheidung, weil Personaldienstleister sich bei Provisionssätzen von gerade einmal 2,0 Gehältern nicht adäquat gegen Abwerbeversuche schützen können. Mit der Gesetzesbegründung ist die Entscheidung nicht vereinbar, weil es hier an verschiedenen Stellen heißt, die Provision dürfe nicht so hoch sein, dass das berufliche Fortkommen der jeweiligen Arbeitnehmer unzulässig erschwert werde. Es ist jedoch offensichtlich, dass auch der hierfür anzusetzende Wert von den Umständen abhängig ist. Wenn ein Kunde die Möglichkeit hat, einen Arbeitnehmer für eine marktübliche Vermittlungsprovision zu übernehmen, wird er dies in der Regel tun; das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers ist also auch bei höheren Provisionen nicht beeinträchtigt.
Für Juristen zusätzlich interessant ist, dass Gerichte Behauptungen wie diese aufstellen, ohne wie hier die durch den Personaldienstleister angebotenen Beweismittel für die Angemessenheit – bis hin zum Sachverständigengutachten – zu beachten. Aber so ist halt manchmal die Praxis.
Dazu, dass der Kunde die Provision sogar bereits bezahlt und erst im Nachhinein zurückgefordert hatte, meinte das Gericht, sicherlich im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH, dass eine reine Zahlung ohne zusätzliche rechtsverpflichtende Erklärung kein Anerkenntnis darstelle und einer Rückforderung der Provision nicht im Wege stehe. Vor dem Hintergrund, dass auch gezahlte Provisionen zurückgefordert werden können, mögen Personaldienstleister, die bisher recht großzügig mit Provisionsregelungen umgegangen sind, diese daher noch einmal überdenken.
Wichtig zu beachten: Der Hinweisbeschluss ist lediglich ein Indiz dafür, wie auch andere Gerichte die Frage der Angemessenheit beurteilen könnten. Abweichende Entscheidungen bleiben möglich.
JH