21. Juni 2023

AMETHYST erfolgreich gegen die Bundesagentur für Arbeit – Gericht ordnet im Eilverfahren Erteilung der Erlaubnis an

Gute Nachricht für Per­sonal­dien­stleis­ter aus der Region Nieder­sach­sen / Bre­men: Das LSG Nieder­sach­sen-Bre­men hat in einem Eil­ver­fahren die vor­läu­fige Erteilung der AÜ-Erlaub­nis ange­ord­net und einen Ver­sa­gungs­bescheid der Bun­de­sagen­tur für Arbeit gegen einen von uns vertrete­nen Per­sonal­dien­stleis­ter aufge­hoben (Beschluss vom 26.05.2023 – L 11 AL 18/23 BER).

Der Sachverhalt

Die Bun­de­sagen­tur für Arbeit lehnte den Antrag auf eine zweite Ver­längerung der Arbeit­nehmerüber­las­sungser­laub­nis den durch uns vertrete­nen Per­sonal­dien­stleis­ter ab. Kurz die Fakten:

  • Das Unternehmen war seit gut 2 Jahren am Markt tätig und spezial­isiert auf den Pflegebereich.
  • Das Unternehmen set­zt Per­son­al über­wiegend monatsweise bei wech­sel­nden Kun­den ein.
  • Es zahlte grund­sät­zlich Löhne weit über Tarif.
  • Das Unternehmen hat­te teil­weise mit „Opt-in“ und „Opt-out“-Vereinbarungen gear­beit­et, die es den Beschäftigten ermöglicht­en, Dien­ste und Freis­chicht­en selb­st zu bes­tim­men (allerd­ings han­delte es sich nicht um arbeit­srechtliche Kurzzeitbeschäf­ti­gun­gen, son­dern um Dauerbeschäftigungen).
  • Es gab viele kleinere Bean­stan­dun­gen: mal eine etwas zu kurze Pause, eine zu lange Schicht, kleine Fehler in der Doku­men­ta­tion — aber keine gravieren­den Mängel.
  • Bei der ersten Erlaub­nisver­längerung 2022 gab es in der Betrieb­sprü­fung bere­its einige Bean­stan­dun­gen; Nach dem Antrag auf erneute Ver­längerung führte die BA aber­mals eine Kon­trolle durch und stellte erneut diverse Ver­stöße fest, die die Behörde zu einem Großteil als Wieder-
    hol­ungsver­stöße ansah.
  • Wegen dieser Ver­stöße ver­sagte die BA die Ver­längerung der Erlaub­nis; ins­beson­dere die Erteilung von Aufla­gen schei­de aus, weil diese ohne­hin nur geset­zeswieder­holend seien.
  • Wegen der Argu­mente des Dien­stleis­ter vgl. vor allem S. 6 des Beschlusses.

Die Entscheidung

Während die Vorin­stanz den Eil­rechtss­chutzantrag noch abgelehnt hat­te, war die dage­gen ein­gelegte Beschw­erde zum LSG erfolgreich:

Die Vielzahl der eingeräumten Ver­stöße und der Umstand, dass nach jet­zigem Sach­stand auch ein Teil der bestrit­te­nen Vor­würfe zutr­e­f­fen kön­nte, wür­den zwar zunächst für eine Unzu­ver­läs­sigkeit des Antrag­steller nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG sprechen. Allerd­ings sei eine Prog­nose für die Zukun­ft erforder­lich, bei der aus vorhan­de­nen tat­säch­lichen Umstän­den der Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart auf ein wahrschein­lich­es zukün­ftiges Ver­hal­ten geschlossen wer­den müsse. Im vor­liegen­den Fall sprächen auch mehrere Gesicht­spunk­te für die Ver­längerung der Erlaub­nis. So seien einige der fest­gestell­ten Man­gel als nicht schw­er­wiegend zu beze­ich­nen, etwa die lediglich in einem Fall um zehn Minuten zu kurze Ruhezeit an nur einem Tag. Auch seien zwis­chen­zeitlich vorgenommene Kor­rek­turen und Verbesserun­gen zu berück­sichti­gen. Ins­beson­dere die zukün­ftige Anwen­dung des iGZ-Muster­ver­trags als Lei­har­beitsver­trag werde einige Bean­stan­dun­gen für die Zukun­ft erledi­gen. Der Beitritt zum iGZ (Inter­essen­ver­band Deutsch­er Zeitar­beit­sun­ternehmen) und die Teil­nahme an Weit­er­bil­dungs­maß­nah­men sowie die Ein­stel­lung zweier neuer qual­i­fiziert­er Mitar­beit­er sei außer­dem ein anzuerken­nen­der Ansatz für die Behe­bung struk­tureller Mängel.

Im Rah­men ein­er vorzunehmenden Inter­essen­ab­wä­gung stün­den die erhe­blichen wirtschaftlichen Inter­essen des Per­sonal­dien­stleis­ters den öffentlichen Inter­essen an der Vol­lziehung gegenüber. Dabei wiege zwar der Schutz der Arbeit­nehmer, der mit den Regelun­gen des AÜG vornehm­lich bezweckt ist, schw­er. Allerd­ings sei insoweit wiederum ein­schränk­end zu berück­sichti­gen, dass der Pflege­sek­tor ein­er der weni­gen Bere­iche sei, in denen Lei­har­beit­nehmer offen­bar höhere Löhne erzie­len wür­den als Fes­tangestellte – so auch hier. Auch wenn die Höhe der Vergü­tung nicht das alleinige Kri­teri­um für Arbeit­nehmer­schutz sei, fiele vor diesem Hin­ter­grund die Abwä­gung let­ztlich zugun­sten des Per­sonal­dien­stleis­ters aus. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Tatbe­stand der Unzu­ver­läs­sigkeit erfüllt ist, müsse in Fällen wie diesem, in denen ganz erhe­bliche wirtschaftliche Nachteile dro­hen, – von ein­deuti­gen Fällen von Unzu­ver­läs­sigkeit abge­se­hen – eine umfassende Prü­fung mit effek­tivem Rechtss­chutz möglich sein.

Das Gericht ord­nete fol­glich die auf­schiebende Wirkung des ein­gelegten Wider­spruchs an.

AMETHYST-Kommentar

Das Über­raschende an dem Sachver­halt war, dass es hier einen Per­sonal­dien­stleis­ter getrof­fen hat­te, bei dem man zunächst geneigt war anzunehmen, dass es mit der Ver­längerung der Erlaub­nis keine Prob­leme geben werde. Ein paar Män­gel ja, aber keine rel­e­vante finanzielle Benachteili­gung von Arbeit­nehmern und auch son­st keine behar­rlichen Rechtsverletzungen.

Dass die Erlaub­nis den­noch ver­sagt wor­den ist, bestätigt die Erfahrung in der Beratung­sprax­is, dass Entschei­dun­gen der Bun­de­sagen­tur in Erlaub­nisver­fahren wenig trans­par­ent und prog­nos­tizier­bar sind. Regionale Unter­schiede sind nicht nur bei den Agen­turen in Düs­sel­dorf, Kiel und Nürn­berg zu verze­ich­nen, son­dern es kom­men auch Unter­schiede bei den jew­eili­gen Prüfteams hinzu. Schließlich gibt es regionale Unter­schiede in der gerichtlichen Prax­is, vor allem das LSG Nieder­sach­sen-Bre­men hat­te in der Ver­gan­gen­heit schon dreimal zu Las­ten eines Dien­stleis­ters entsch­ieden (Beschl. v. 27.06.2018 — L 7 AL 22/18 B ER, Beschl. v. 21.12.2018 — L 7 AL 163/18 B ER; Beschluss v. 17.06.2019 – L 11 AL 27/19 B ER), was natür­lich auch die Behör­den­prax­is in diesen Bun­deslän­dern zu Las­ten der geprüften Unternehmen bee­in­flussen kann.

Manch­mal laufen die Sachen dann von vorn­here­in schief, ohne dass dafür ein wirk­lich­er Grund zu erken­nen ist: In der Prü­fung ist die Stim­mung schlecht, ein Doku­ment lässt sich auf Anfrage nicht sofort vor­legen, einige Dinge wer­den anders als die Norm gemacht — jedoch nur etwas ungewöhn­lich, aber nicht falsch. Kleinere berechtigte Bean­stan­dun­gen kom­men hinzu, und fer­tig ist der „Ver­sa­gungsmix“.

Gründe für solche erlaub­nis­ge­fährden­den Bean­stan­dun­gen waren hier zum Beispiel der Umstand, dass in den Arbeitsverträ­gen — in zum Üblichen umgekehrter Rei­hen­folge — zuerst der höhere Ein­sat­zlohn und erst später der (ger­ingfügig) gerin­gere Lohn in Nichtein­satzzeit­en angegeben war. Die Bun­de­sagen­tur für Arbeit sah darin einen Ver­stoß gegen das Garantielohn­prinzip, obwohl der Antrag­steller nichts anderes gemacht hat­te, als eine Pro­duk­tivzu­lage zu gewähren, was abso­lut branchenüblich ist und ger­ade keinen Ver­stoß gegen § 11 Abs. 5 AÜG darstellt, der das Garantielohn­prinzip regelt.

Es gab noch eine Rei­he weit­er­er, etwas ungewöhn­lich­er Sachver­halte, die jedoch wed­er unzuläs­sig noch benachteili­gend waren.

So nah­men die Dinge ihren Lauf. Die Bun­de­sagen­tur für Arbeit ver­sagte die Erlaub­nis und ließ sich auch im Wider­spruchsver­fahren nicht vom Gegen­teil überzeu­gen. Das SG Han­nover, Gericht in 1. Instanz, schrieb von ein­er älteren Entschei­dung des LSG Nds.-Bremen mehr oder weniger ab, ohne sich mit dem Einzelfall zu befassen, auch das geschieht nicht selten.

Erst in 2. Instanz beim LSG Nieder­sachen-Bre­men fand der Per­sonal­dien­stleis­ter dann das angemessene rechtliche Gehör und erhielt seine Erlaub­nis zurück.

Das Gericht hat eine sog. Fol­gen­ab­wä­gung getrof­fen. Die Argu­mente des Antrag­stellers seien stich­haltig gewe­sen. Wenn die Bun­de­sagen­tur für Arbeit dazu gegen­teilige Stand­punk­te vertrete, müsse in einem Eil­ver­fahren offen­bleiben, wer let­ztlich recht hat, weil die Zeit für die Prü­fung nicht beste­ht. Angesichts der exis­ten­zge­fährden­den Wirkung der Ver­sa­gung ein­er­seits und eines auf­grund guter Bezahlung der Arbeit­nehmer hier gegebe­nen Schutzniveaus ander­er­seits wiege die exis­ten­zver­nich­t­ende Ver­sa­gung der Erlaub­nis schw­er­er als das Ver­sa­gungsin­ter­esse der Bun­de­sagen­tur für Arbeit.

Exis­ten­zge­fährdend ist überdies bere­its die Dauer dieser „Eil“-Verfahren mit hier gut drei Monat­en. Auch das sollte man immer im Blick behalten.

JH