Konzernprivileg in der Arbeitnehmerüberlassung auf dem Prüfstand
Die Arbeitnehmerüberlassung unterliegt bekanntlich einigen einschränkenden Bestimmungen. Erlaubnispflicht, Tarifanwendung, Equal Pay oder die Überlassungshöchstdauer führen in der Praxis zu viel Verwaltungsaufwand. Mithilfe des in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG geregelten Konzernprivilegs lassen sich diese Reglementierungen jedoch umgehen, weshalb sich dieses Privileg in der Praxis großer Beliebtheit erfreut. Es besteht darin, dass Mitarbeiter innerhalb eines Konzerns überlassen werden können, ohne dass die Bestimmungen des AÜG greifen, obwohl die Voraussetzungen einer Überlassung nach dem AÜG eigentlich erfüllt sind. Bedingung für die Anwendung des Konzernprivilegs ist, dass die Mitarbeiter konzernintern an ein verbundenes Unternehmen überlassen werden. Außerdem dürfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ausschließlich zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt werden.
Mit dem Konzernprivileg hat sich nun in zwei Fällen das LAG Niedersachsen beschäftigt (Urt. v. 12.01.2023 – Az.: 5 Sa 213/22). Dabei ging es vor allem um die in der Literatur viel diskutierte Frage, ob das Privileg dem Europarecht entspricht. Während diese Frage (höchst-)richterlich ungeklärt ist, werden in der Literatur diesbezüglich einige Zweifel geäußert. Die dort wohl herrschende Meinung verweist darauf, dass die entsprechende Richtlinie (2008/104/EG) kein solches Konzernprivileg kennt.
Das LAG Niedersachsen hat die Frage der Europarechtswidrigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nun jedoch ausdrücklich offengelassen. Das Urteil des Gerichts lautet im Kern: Die Norm kann nicht europarechtskonform ausgelegt werden, da Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift klar und eindeutig sind. Der nationale Gesetzgeber wollte mit § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG unzweifelhaft das Konzernprivileg einführen. Eine europarechtskonforme Auslegung, die den Gehalt der Norm in das genaue Gegenteil umkehren würde, die also das Konzernprivileg abschaffen würde, verbietet sich daher und ist nicht mit dem geltenden Recht vereinbar. Da eine europarechtskonforme Auslegung dieses nationalen Gesetzes somit nicht möglich ist, kommt es auf eine etwaige Europarechtswidrigkeit also gar nicht an – und das Konzernprivileg ist solange zulässig, bis der EuGH ein gegenteiliges Urteil fällt.
Die klagenden Arbeitnehmer haben gegen diese Entscheidung Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt (Az. 9 AZR 110/23 & Az. 9 AZR 111/23). Es bleibt abzuwarten, wie sich das BAG in dieser Frage positioniert.
AMETHYST-Kommentar
Das Konzernprivileg ist so unwirksam, dass es weiterhin gilt – diese auf den ersten Blick widersinnige Aussage ist tatsächlich richtig, sie entspricht auch der überwiegenden Auffassung im Schrifttum.
Wer meint, die Europarechtswidrigkeit des Privilegs müsse doch auch sofort zu seiner Nichtanwendbarkeit führen, kennt die Juristen nicht. Im Rechtssystem geht es viel um Zuständigkeiten. Und ein deutsches Gericht muss die hier geltenden Normen halt anwenden, selbst wenn es sie für europarechtswidrig hält.
Dennoch sollte die weitere Entwicklung in dieser Frage aufmerksam verfolgt werden. Insbesondere eine Vorlage an den EuGH könnte nämlich doch noch zur Europarechtswidrigkeit des Konzernprivilegs führen. Dies hätte für die betroffenen Unternehmen ernste Konsequenzen, da sich die konzerninterne Überlassung sodann als illegale Arbeitnehmerüberlassung darstellen würde. Die Folge wäre die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher gem. § 10 AÜG. Unter Umständen könnten auch ordnungs- und strafrechtliche Folgen drohen.
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