4. August 2020
Kurzarbeitergeld: Antragsteller ohne Betriebssitz in Deutschland bekommen kein Kug
Das LSG München hat am 4. Juni 2020 entschieden, dass Antragsteller ohne Betriebssitz in Deutschland kein Kurzarbeitergeld (Kug) bekommen (Beschluss v. 04.06.2020 – L 9 AL 61/20 B ER).
Sachverhalt
Die Antragstellerin, eine Leiharbeitsfirma, die ihren Sitz im Ausland hat, überließ Arbeitnehmer/innen nach Deutschland. Die Antragstellerin erstattete bei der Bundesagentur für Arbeit im März 2020 Anzeige über Arbeitsausfall. Dieser wurde von der Bundesagentur für Arbeit abgelehnt. Den dagegen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wies das Sozialgericht ab.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts legte die Antragstellerin im Mai 2020 Beschwerde ein. Diese Beschwerde wurde vom Landessozialgericht München abgewiesen mit folgender Begründung:
Gemäß § 95 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn
- ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt,
- die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind,
- die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und
- der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.
Ein Arbeitsausfall ist erheblich, wenn er
- auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht,
- vorübergehend ist,
- nicht vermeidbar ist und
- im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der den Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist; der Entgeltausfall kann auch jeweils 100 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betragen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 SGB III).
Gemäß § 97 SGB III sind die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung.
Da der eigentliche Betriebszweck der Antragstellerin, nämlich die Arbeitsüberlassung zum Einsatz ihrer ca. 350 Beschäftigten aus dem Ausland nach Deutschland gerade nicht durch ein mit entsprechenden sachlichen und personellen Ressourcen ausgestattetes Büro der Antragstellerin in Deutschland wahrgenommen wird, sondern vielmehr — ohne wesentliche Mitwirkung der Antragstellerin — allein durch eine Art „Arbeit auf Abruf“ durch die Einsatzplanung der „Entleiherunternehmen“ L. und M. Air ausgeübt wird, kann kein Betriebssitz in Deutschland unterstellt werden. Folge ist, dass auch der Antrag auf Gewährung von Kug abzulehnen ist.
Übertragbarkeit auf Betriebsabteilungen
Die obigen Ausführungen sind sinngemäß auf das Vorhandensein von sog. Betriebsabteilungen der Antragstellerin zu übertragen (vgl. § 97 S. 2 SGB III). Auch bei Betriebsabteilungen müssen — von einem Hauptbetrieb abgrenzbare — mit eigenen Betriebsmitteln ausgestattete — gefestigte Strukturen vorliegen, etwa eine von der Produktion abgegrenzte Verwaltung.
Hinsichtlich des von der Antragstellerin gerügten Verstoßes einer „Verweigerung der Gewährung von Kurzarbeitergeld“ unter Berufung auf das Fehlen eines Betriebes oder Betriebsteiles im Inland gegen die der Antragstellerin im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) gewährten Grundrechte ist zunächst anzumerken, dass grundsätzlich nur natürliche Personen Träger von Grundrechten sein können. Darüber hinaus gelten die Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
Der Senat sieht den Schutzbereich der der Antragstellerin als juristischer Person gewährten Grundrechte jedoch nicht als verletzt an. Soweit der Bevollmächtigte hinsichtlich des durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährten Schutzbereich des allg. Gleichheitssatzes auf einen Beschluss des BVerfG vom 31.12.1999 (Az. 1 BvR 809/95) verweist, wonach „der Ausschluss von im grenznahen Ausland lebenden Arbeitnehmern vom Arbeitslosengeld unter Berufung darauf, dass diese ihren Wohnsitz nicht im Geltungsbereich des SGB III haben, gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoße, wenn diese Arbeitnehmer ihre Tätigkeit in Deutschland ausüben würden, also hierzulande Beiträge eingezahlt hätten und auch sonst — vorbehaltlich eines Wohnsitzes im Geltungsbereich des SGB III — alle Leistungsvoraussetzungen erfüllen würden“, ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Entscheidung ausdrücklich auf die besondere Situation von sog. Grenzgängern bezieht, die im grenznahen Ausland wohnen und im Inland beschäftigt und versichert sind. Wie das BVerfG in seiner o.g. Entscheidung ausführt, ist deren besondere Situation durch ihre Nähe zum Staatsgebiet der Bundesrepublik, ihre zwangsweise Einbeziehung in das nationale Sicherungssystem des Beschäftigungsorts und nicht des Wohnsitzes mit entsprechender Beitragspflicht und durch den fortbestehenden Bezug zum Inlandsarbeitsmarkt gekennzeichnet.
Hierzu weist der Senat für das vorliegende Verfahren erneut darauf hin, dass es — im Gegensatz zu dem der Entscheidung des Senats vom 01.07.2009 zugrundeliegenden Fall, vorliegend nicht um die Prüfung der Voraussetzungen für eine Zahlung von Kurzarbeitergeld für Grenzgänger geht, sondern um einen geltend gemachten Anspruch einer juristischen Person mit Sitz im Ausland.
Nach summarischer Prüfung der Unionsrechtslage sieht der Senat daher aufgrund der — oben bereits ausführlich dargelegten — offenkundig fehlenden Anknüpfung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Antragstellerin in Deutschland an feste und dauerhafte betriebliche Strukturen keinen Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben aufgrund der streitgegenständlichen Versagung eines Anerkennungs-Bescheides nach § 99 Abs. 3 SGB III.
AMETHYST-Kommentar
Unternehmen, die allein im Ausland tätig sind und Arbeitnehmer nach Deutschland überlassen, erhalten kein Kug. Das ist auch nicht überraschend, weil weder das Unternehmen in Deutschland seinen Sitz hat noch für die Arbeitnehmer in Deutschland SV-Beiträge abgeführt worden sind.
Anders stellt sich der Fall dar, wenn deutsche Unternehmen Arbeitnehmer in das Ausland überlassen, für die zuvor in Deutschland SV-Beiträge abgeführt worden sind. Dann besteht selbstverständlich auch ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld gegen die Bundesagentur für Arbeit.