18. Februar 2013

Vorübergehende Überlassung — was ist dran an der Rechtsprechung?

Seit einige Gerichte Ein­sätze von Zeitar­beit­nehmern als nicht „vorüberge­hend“ im Sinne des AÜG eingestuft haben, ver­bre­it­et sich Unruhe in der Branche. Ist dies der Anfang vom Ende der Zeitar­beit, jeden­falls aber das Ende der Zeitar­beit auf Dauer­ar­beit­splätzen beim Kunden?

Kön­nen Betrieb­sräte jet­zt jedem nicht befris­teten Ein­satz von Fremd­per­son­al wider­sprechen? Oder dro­ht in diesen Fällen gar ein Über­nah­meanspruch des Arbeit­nehmers beim Kun­den­be­trieb? Was genau bedeutet „vorüberge­hend“ in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG?

Mit der Umset­zung der Zeitar­beit­srichtlin­ie in nationales Recht wurde in § 1 I S. 2 AÜG die For­mulierung „Die Über­las­sung von Arbeit­nehmern an Entlei­her erfol­gt vorüberge­hend“ einge­fügt. Was genau unter dem Begriff „vorüberge­hend“ zu ver­ste­hen ist, hat der Geset­zge­ber offen­ge­lassen – zum Leid der Per­sonal­dien­stleis­ter und Kun­den. Für die Prax­is besonders
rel­e­vant ist die Frage, welche Kon­se­quen­zen mit ein­er nicht nur vorüberge­hen­den Über­las­sung ver­bun­den sind: Müssen Unternehmen Zeitar­beit­nehmer nach einem län­geren Ein­satz übernehmen? Und hat der Betrieb­srat ein Zus­tim­mungsver­weigerungsrecht bei der Ein­stel­lung eines Zeitar­beit­nehmers zum nicht nur vorüberge­hen­den Einsatz?

I. Wann ist eine Über­las­sung nur vorübergehend?

„Vorüberge­hend“ bedeutet dem Wortsinn nach „zeitlich begren­zt“. Wo konkret diese Gren­ze zu ziehen ist, beant­wortet der Geset­zes­text nicht. Diese redak­tionelle Offen­heit führte zu einem leb­haften Stre­it unter Juris­ten über die Bedeu­tung des Begriffs. Im Wesentlichen wer­den drei ver­schiedene Ansatzpunk­te zur Inter­pre­ta­tion gewählt: Einige Autoren und Arbeits­gerichte ori­en­tieren sich an den Wer­tun­gen des Teilzeit- und Befris­tungs­ge­set­zes. Danach sei eine Über­las­sung nur dann vorüberge­hend, wenn dem Kun­den bei Direk­te­in­stel­lung eines eige­nen Arbeit­nehmers ein Befris­tungsrecht nach § 14 I S. 1 TzBfG (Befris­tung mit Sach­grund) zustünde (ArbG Cot­tbus, Beschluss vom 22.08.2012 – 4 BV 2/12). Einem der­ar­ti­gen Rück­griff auf die Wer­tun­gen des TzBfG hat das LAG Düs­sel­dorf kür­zlich ein­deutig eine Absage erteilt (LAG Düs­sel­dorf, Beschluss vom 02.10.2012 – 17 TaBV 38/12). Hier­für böten Geset­zeswort­laut und ‑sys­tem­atik keinen Anhalt­spunkt. Prak­tik­er fra­gen sich nun zu Recht, woher der Ver­lei­her, an den sich das Gesetz richtet, denn wis­sen soll, ob beim Kun­den ein „Sach­grund“ für eine Befris­tung besteht.

Andere Gerichte meinen, der Begriff „vorüberge­hend“ sei als Miss­brauchs­gren­ze zu ver­ste­hen. Diese ist laut LAG Nieder­sach­sen über­schrit­ten, wenn ein Kunde auss­chließlich Zeitar­beit­nehmer ein­stellt, um Per­son­alkosten zu senken (LAG Nieder­sach­sen vom 19.09.2012 – 17 TaBV 124/11). Ähn­lich sehen es andere Gerichte, die die Gren­ze überschritten
sehen, wenn nicht beab­sichtigt ist, dass der Mitar­beit­er über­haupt zum Zeitar­beit­sun­ternehmen zurück­kehrt (ArbG Offen­bach, Beschluss vom 01.08.2012 – 10 BV 1/12) oder er auf Dauer­ar­beit­splätzen einge­set­zt wird (LAG Berlin-Bran­den­burg, Beschluss vom 19.12.2012 – 4 TaBV 1163/12).
Doch dem Begriff „vorüberge­hend“ das Ver­bot ein­er unbe­fris­teten Über­las­sung zu ent­nehmen, geht sich­er zu weit. Wed­er die Zeitar­beit­srichtlin­ie noch das AÜG ver­bi­eten es ausdrücklich,
Dauer­ar­beit­splätze mit Zeitar­beit­nehmern zu beset­zen. Auch eine Höch­stüber­las­sungs­dauer ist nir­gend­wo aus­drück­lich geregelt. Das AÜG sieht zudem kein­er­lei Rechts­folge für den Fall der nicht nur vorüberge­hen­den Über­las­sung vor. Nahe­liegen­der ist es daher, dem Begriff „vorüberge­hend“ nur eine klarstel­lende Funk­tion zuzuschreiben. So geht es auch aus der Geset­zes­be­grün­dung her­vor, der zufolge der Begriff
„vorüberge­hend“ im Sinne der Zeitar­beit­srichtlin­ie als flex­i­ble Zeitkom­po­nente zu ver­ste­hen ist. Er wurde nur einge­fügt, um klarzustellen, dass das deutsche Mod­ell der Arbeitnehmerüberlassung
den euro­parechtlichen Vor­gaben entspricht. Der Geset­zge­ber wollte dabei ger­ade kein Ver­bot der Dauerüber­las­sung fest­set­zen. Um dem Regelungs- und Schutzkonzept der Zeitar­beit­srichtlin­ie gerecht zu wer­den, muss die Dauerüber­las­sung vielmehr von § 1 I S. 2 AÜG umfasst sein. Denn ein anderes Ver­ständ­nis würde zu dem wider­sin­ni­gen Ergebnis
führen, dass jene Mit­gliedsstaat­en, die die Dauerüber­las­sung zuließen, von den Schutzmech­a­nis­men der Richtlin­ie, ins­beson­dere dem Gle­ich­stel­lungs­ge­bot, befre­it wären.

II. Rechts­fol­gen ein­er nicht nur „vorüberge­hen­den“ Überlassung

Wie auch immer das BAG die Voraus­set­zun­gen der vorüberge­hen­den Über­las­sung sieht – für Zeitar­beit­sun­ternehmen bleibt die wichtige Frage, ob durch eine dauer­hafte Arbeit­nehmerüber­las­sung ein Arbeitsver­hält­nis zum Kun­de­nun­ternehmen begrün­det wird. Diese Rechts­folge ist im AÜG grund­sät­zlich nur für den Fall der ille­galen Arbeitnehmerüberlassung
vorge­se­hen, d. h., wenn der Ver­lei­her ohne Erlaub­nis über­lässt (§ 9 I Nr. 1 AÜG i. V. m. § 10 I S. 1 AÜG). So sieht das auch die 7. Kam­mer des Lan­desar­beits­gerichts Berlin-Bran­den­burg, da das Gesetz ein neues Arbeitsver­hält­nis zwis­chen Arbeit­nehmer und Kunde nun ein­mal nicht vorse­he (LAG Berlin-Bran­den­burg vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12). Die
15. Kam­mer des­sel­ben Gerichts sah ein solch­es Arbeitsver­hält­nis jedoch als zus­tande gekom­men an (LAG Berlin-Bran­den­burg vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12). Es han­dele sichum „insti­tu­tionellen Rechtsmiss­brauch“, wenn eine Über­las­sung auss­chließlich zum Zweck der Lohnkostensenkung erfol­gt. Stark­er Tobak mit wenig Sub­stanz! Revi­sio­nen auch zu diesen Entschei­dun­gen sind beim Bun­de­sar­beits­gericht anhängig. Eine weit­ere Stre­it­igkeit bet­rifft die Frage, ob der Betrieb­srat im Kun­den­be­trieb die Zus­tim­mung zur Ein­stel­lung eines Zeitar­beit­nehmers mit der Begrün­dung ver­weigern darf, die Über­las­sung erfolge nicht „vorüberge­hend“. Der Kun­den­be­trieb­srat hat bei der Ein­stel­lung von Zeitar­beit­nehmern ein Mitbes­tim­mungsrecht nach (§ 14 III AÜG i. V. m. § 99 BetrVG).
Ver­stößt die geplante Über­las­sung gegen ein „Gesetz“, hier also gegen den nur vorüberge­hen­den Ein­satz, kann er seine Zus­tim­mung ver­weigern. Auch um diese Frage wird wieder lei­den­schaftlich gerun­gen; einzelne Fachgerichte haben dem Betrieb­srat bish­er mit unter­schiedlichen Begrün­dun­gen ein Ver­weigerungsrecht zuge­sprochen (ArbG Leipzig vom 15.02.2012 – 11 BV 79/11; LAG Nieder­sach­sen vom 19.09.2012 – 17 TaBV 124/11).

Es bleibt also span­nend. Wir meinen allerd­ings: viel Rauch um nichts! Und wir gehen davon aus, dass „vorüberge­hend“ bald auch wieder „nicht vorüberge­hend“ bedeuten wird. Hier­für sprechen ein­deutig die besseren Argumente.