7. Januar 2016

Rechtliche Fallstricke umgehen — Fremdpersonal in Matrixstrukturen

Der ganze Beitrag ist in der Zeitschrift Arbeit und Arbeit­srecht 11/2015 erschienen. Ver­fass­er ist RA Jörg Hen­nig, AMETHYST Recht­san­wälte, Berlin.

Matrixstruk­turen sind kom­plex. Ins­beson­dere das Auseinan­der­fall­en des Direk­tion­srechts wirft hier zahlre­iche Fra­gen auf. Wie aber geht man bei einem Fremd­per­son­alein­satz vor, bei dem es sog­ar zu ein­er dop­pel­ten Über­tra­gung des
Direk­tion­srechts kom­men kann.

1. Prob­leme in der Matrixstruktur

Matrixor­gan­i­sa­tio­nen gehören in größeren Unternehmen mit­tler­weile zum All­t­ag. Sie sind betrieb­swirtschaftlich eine Form der Mehrlin­ienor­gan­i­sa­tion. Diese ist bes­timmt durch ein mehrdi­men­sion­ales Struk­tur­prinzip in der Organisa-
tion eines Unternehmens oder Konz­erns, nach dem Zuständigkeit­en getren­nt voneinan­der aufge­baut sind.
Dabei wird entwed­er die fach­liche Leitungs­funk­tion auf zwei voneinan­der unab­hängige, gle­ich­berechtigte Einheiten
verteilt (z. B. Ver­trieb und Entwick­lung) wodurch es sehr häu­fig zu einem Auseinan­der­fall­en der fach­lichen und der
diszi­pli­nar­ischen Zuständigkeit kommt. Mitar­beit­er ste­hen also in zwei gle­ichrangi­gen Weisungs­beziehun­gen zu
unter­schiedlichen Vorge­set­zten. Diese „vorge­set­zten“ Per­so­n­en befind­en sich oft­mals an unter­schiedlichen Unternehmens­stan­dorten, die sich zusät­zlich pro­jek­t­be­zo­gen immer wieder ändern kön­nen. So kann es vorkom­men, dass ein
Arbeit­nehmer mit einem deutschen Konz­er­nun­ternehmen für den Ein­satz in ein­er Mar­ketingabteilung in Hamburg
einen Arbeitsver­trag abschließt, sich seine Per­son­al­abteilung in München befind­et und er seine fach­lichen Weisun­gen von einem Pro­jek­tleit­er des Konz­erns aus Brasilien empfängt.

Das Auseinan­der­fall­en des Direk­tion­srechts in Matrixstruk­turen wirft zahlre­iche Prob­leme auf, die in dieser und in
anderen Zeitschriften bere­its erörtert wur­den (vgl. z. B. Neufeld, AuA 4/12, S. 219 ff., Kort, NZA 2013, S. 1318 ff., Mey­er, NZA 2013, S. 1326 ff.). Noch kaum beleuchtet wurde bish­er aber, inwieweit für den Ein­satz von Fremd­per­son­al in der
Matrix beson­dere Regelun­gen gel­ten, weil hier häu­fig eine dop­pelte Über­tra­gung des Direk­tion­srechts stattfindet
(verdeut­licht in der fol­gen­den Grafik).

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Dop­pelte Über­tra­gung des Direktionsrechts

Zur Begrif­flichkeit: Wir sprechen im Fol­gen­den von Ver­lei­her, Arbeit­nehmer, „übernehmende Ein­heit“ als die Ein­heit im Konz­ern, die den Lei­har­beitsver­trag mit dem Per­sonal­dien­stleis­ter abschließt und von „steuernde Ein­heit“, die das
fach­liche Weisungsrecht im Konz­ern let­ztlich ausübt. „Entlei­her“ ist der Sam­mel­be­griff für alle Ein­heit­en, die Zeitar­beit­nehmer ein­set­zen (das kön­nen sowohl die übernehmende als auch die steuernde Ein­heit sein).

Im Kern ist das Prob­lem der Matrix alt und nicht an die Entste­hung inter­na­tionaler Konz­ern­struk­turen gebunden.
Bspw. in Kranken­häusern fie­len aus beruf­s­rechtlichen Grün­den schon immer fach­lich­es und diszi­pli­nar­isches Weisungsrecht gegenüber Ärzten auseinan­der, da es das ärztliche Standesrecht nicht zulässt, dass ein Arzt Weisun­gen von einem „Nichtarzt“ erhält. Das hat aktuell etwa in einem Rechtsstre­it vor dem ArbG Dessau-Roßlau (Urt. v. 20.5.2015 — 1 Ca 184/14, Beru­fung anhängig zum Az. 3 Sa 225/15 beim LAG Sach­sen-Anhalt) die Frage ent­bren­nen lassen, ob ein Che­farzt im Kranken­haus als fach­lich allein weisungs­berechtigte Per­son das Zeug­nis ein­er Oberärztin unterze­ich­nen muss,
obwohl dies nach der Judikatur des BAG generell nur für die diszi­pli­nar­isch zuständi­ge Per­son zutrifft.
Das ArbG Dessau-Roßlau hat diese Frage bejaht.

2. Arbeit­nehmerüber­las­sung

Der prak­tisch bedeu­tend­ste Fall ist die Über­las­sung von Arbeit­nehmern in die Matrix. Z .B. wird ein Inge­nieur an ein deutsches Indus­trie­un­ternehmen über­lassen, arbeit­et jedoch von Deutsch­land aus in einem inter­na­tionalen Entwick­lung­steam für ein Pro­jekt eines anderen Unternehmens des­sel­ben Konz­erns unter spanis­ch­er Leitung. Oder das
deutsche Unternehmen „schickt“ den Inge­nieur sog­ar für dieses Pro­jekt nach Spanien. In bei­den Fällen empfängt er
seine fach­lichen Weisun­gen aus dem Ausland.

Bis heute lassen sich Arbeit­nehmerüber­las­sung und Matrix­ein­sätze nicht rechtssich­er abgren­zen. Darauf abzustellen, dass in der Matrix im Gegen­satz zur Arbeit­nehmerüber­las­sung nur das fach­liche Direk­tion­srecht auf die steuernde Ein­heit über­tra­gen wird, ist nicht richtig. Denn in bei­den Fällen wird genau das­selbe auf den Entlei­her über­tra­gen, näm­lich das fach­liche, zeitliche und örtliche Direk­tion­srecht gem. § 106 GewO. Bei der Arbeit­nehmerüber­las­sung können
umfan­gre­ichere oder weniger umfan­gre­iche Rechte als in der Matrix über­tra­gen wer­den, ohne dass dies Auswirkun­gen auf den Ver­tragstyp hat. Ver­ste­ht man weit­er gehend das „diszi­pli­nar­ische Weisungsrecht“ als Teil des Direktionsrechts
(Kort, a. a. O.), unter­schei­den sich Über­las­sung und Matrix­ein­satz eben­falls nicht, denn das diszi­pli­nar­ische Weisungsrecht wird nie auf den Entlei­her über­tra­gen, wed­er bei der Arbeit­nehmerüber­las­sung noch in der Matrix. Denn dieses „sta­tus­be­zo­gene“ Direk­tion­srecht (also das Recht zur Abmah­nung, zum Ausspruch von Kündi­gun­gen etc.) kann über­haupt nicht über­tra­gen und immer nur von dem Arbeitsver­tragspart­ner des Arbeit­nehmers aus­geübt werden.

Zur Abgren­zung taugt das Merk­mal des Direk­tion­srechts daher nicht. Die Abgren­zung ori­en­tiert sich sin­nvoller­weise an der Zweck­er­fül­lung des Einsatzes.

Erfüllt der Arbeit­nehmer mit sein­er Tätigkeit nur Betrieb­szwecke der steuern­den Ein­heit, liegt Arbeit­nehmerüber­las­sung vor, wer­den zusät­zlich Zwecke des Haup­tar­beit­ge­bers erfüllt, han­delt es sich um eine erlaub­n­is­freie Matrixgestal­tung (Kort, a. a. O.). Ein Hin­weis hier­auf kann vor allem sein, ob die steuernde Ein­heit die Per­son­alkosten für den Einsatz
wirtschaftlich allein trägt. Dies spricht für eine alleinige Erfül­lung der Betrieb­szwecke der steuern­den Ein­heit durch den
Arbeit­nehmer und damit für Arbeitnehmerüberlassung.

 

Teil 2 und Teil 3 find­en Sie hier.