Ist das Konzernprivileg in der Arbeitnehmerüberlassung europarechtswidrig?

Mit Span­nung war am 5. Dezem­ber 2023 eine Entschei­dung des Bun­de­sar­beits­gerichts zum Konz­ern­priv­i­leg in der Arbeit­nehmerüber­las­sung erwartet worden.

Das Konz­ern­priv­i­leg ist in § 1 Abs. 3 Nr. 2. des AÜG geregelt und sieht vor, dass der Großteil der Regelun­gen des AÜG bei konz­ern­in­tern­er Arbeit­nehmerüber­las­sung nicht gilt. Für zahlre­iche Unternehmen bzw. Konz­erne bietet dieses Priv­i­leg eine willkommene Gele­gen­heit, Arbeit­nehmerüber­las­sung recht­skon­form zu betreiben, ohne dabei z. B. die Regelun­gen zur Über­las­sung­shöch­st­dauer von 18 Monat­en beacht­en zu müssen.

Schon lange wur­den in der Lit­er­atur jedoch Bedenken gegen die Vere­in­barkeit dieses Priv­i­legs mit euro­parechtlichen Bes­tim­mungen geäußert. Ins­beson­dere wird einge­wandt, dass die Lei­har­beit­srichtlin­ie keine Aus­nah­men für Konz­er­nun­ternehmen vorsehe.

Recht­sprechung gab es hierzu lange Zeit keine. Erst am 12. Jan­u­ar 2023 hat­te sich das LAG Nieder­sach­sen mit einem entsprechen­den Sachver­halt zu befassen (5 Sa 212/22).

In dem entsch­iede­nen Fall wollte sich ein Arbeit­nehmer nach ein­er Über­las­sung im Konz­ern bei dem Entlei­her als Arbeit­nehmer ein­kla­gen mit der Begrün­dung, die Über­las­sung­shöch­st­dauer von 18 Monat­en nach § 1b AÜG sei über­schrit­ten wor­den – was zunächst unzweifel­haft zutraf. Der Entlei­her berief sich jedoch auf die Gel­tung des Konz­ern­priv­i­legs, weshalb er, so seien Darstel­lung, an die Über­las­sung­shöch­st­dauer nicht gebun­den sei.

Das Gericht entsch­ied, dass der Entlei­her sich auf das Konz­ern­priv­i­leg berufen könne, denn die Richtlin­ie 2008/104/EG über Lei­har­beit finde im deutschen Recht keine unmit­tel­bare Anwen­dung. Das Konz­ern­priv­i­leg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sei vom Wort­laut sowie vom Sinn und Zweck her, den der nationale Geset­zge­ber mit dieser Vorschrift ver­bun­den habe, klar und eindeutig.

Zwar müsse ein Gericht grund­sät­zlich eine euro­parecht­skon­forme Ausle­gung vornehmen;  dies gin­ge jedoch nur, wenn diese mit dem Wort­laut in Ein­klang zu brin­gen sei. Da sich das Konz­ern­priv­i­leg kaum deut­lich­er als in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG for­mulieren lässt, wäre eine gegen­teilige Ausle­gung nicht recht­skon­form. Im vor­liegen­den Stre­it­fall sei die nationale Recht­sor­d­nung somit stärk­er als das Europarecht.

Die hierge­gen zuge­lassene Revi­sion sollte nun am 5. Dezem­ber 2023 durch das Bun­de­sar­beits­gericht entsch­ieden wer­den (9 AZR 110/23). Dazu kam es jedoch nicht mehr, denn die Parteien hat­ten sich zuvor verglichen.

 

Kommentar

Natür­lich ist nicht sich­er zu sagen, wie das Bun­de­sar­beits­gericht in dieser Sache entsch­ieden hätte; unwahrschein­lich, dass das Gericht den Anspruch des Klägers direkt anerkan­nt hätte mit der Begrün­dung, das Konz­ern­priv­i­leg gelte nicht, weil es gegen Euro­parecht ver­stoße. Denn in diesem Fall hätte das Gericht die Sache nicht selb­st entschei­den dür­fen, son­dern dem EuGH vor­legen müssen.

Sicher­lich spricht einiges für die Unvere­in­barkeit des Konz­ern­priv­i­legs mit der Lei­har­beit­srichtlin­ie. Für deutsche Gerichte sper­rt der Text des deutschen AÜG jedoch einen unmit­tel­baren Auss­chluss der Gel­tung des Konz­ern­priv­i­legs. Unternehmen, die auf der Grund­lage des Konz­ern­priv­i­legs arbeit­en, müssen sich also aktuell eher keine Sor­gen machen.
JH