14. Februar 2022
EuGH: Urlaubszeit zählt für die Mehrarbeitszuschläge
Am 13. Januar 2022 entschied der EuGH, dass die „unproduktive“ Urlaubszeit auf die Monatsarbeitszeit, ab deren Überschreitung Mehrarbeitszuschläge anfallen, anzurechnen ist. Die bisherige Regelung – vor allem im iGZ-Tarifvertrag – verstoße gegen Artikel 31 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie).
Der EuGH entschied damit über ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Juni 2020 (10 AZR 210/19) mit folgendem Inhalt:
„Stehen Artikel 31 Absatz 2 GRCh und Artikel 7 der RL 2003/88/EG einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegen, die für die Berechnung, ob und für wie viele Stunden einem Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge zustehen, nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt und nicht auch die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Mindestjahresurlaub in Anspruch nimmt?“
Das bestätigte der EuGH mit dem Argument, dass jede Regelung, die Arbeitnehmer davon abhalten könnte, bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, gegen das Erholungsziel des BUrlG verstoße. Wenn Urlaub für die Schwelle, ab der Mehrarbeitszuschläge entstünden, nicht berücksichtigt werde, so könne ein Arbeitnehmer davon abgehalten werden, in Monaten, in denen er bereits Mehrarbeit geleistet hätte, Urlaub zu nehmen, weil dies zum Wegfall der Mehrarbeitszuschläge führen könnte.
Der EuGH hat den Ball noch einmal an das BAG zurückgespielt, das den Fall abschließend entscheiden muss. Das Ergebnis wird jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit dem Urteil des EuGH entsprechen.
AMETHYST-Kommentar zum Thema Mehrarbeitszuschläge
Mehrarbeitszuschläge müssen somit zukünftig neu kalkuliert werden. Die große und offene Frage ist, ab wann Personaldienstleister die Vergütungszahlungen anpassen müssen. Signale, dass die Bundesagentur für Arbeit das bereits jetzt verlangt, konnten wir in den vielen Prüfungen, die wir begleiten, noch nicht ausmachen, obwohl die Agentur ihre Praxis in der Vergangenheit oftmals bereits auf Basis zweitinstanzlicher Urteile geändert hat. Allerdings hatten die Vorinstanzen die Klage jeweils abgewiesen, weshalb das hier nicht geschehen konnte. Da der EuGH dem BAG die abschließende Entscheidung vorbehalten hatte, dürfte es jedenfalls keinen Rechtsverstoß gem. § 3 AÜG darstellen, die Praxis erst mit einem Richterspruch aus Erfurt zu ändern.
BAP-Anwender haben keinen Grund zur Freude, weil der einschlägige Tarifvertrag hier der des iGZ war. Denn auch § 7.1 MTV BAP/DGB nimmt Urlaub von der Berechnung zuschlagsfähiger Mehrarbeitsstunden aus. Diese werden ihre Abrechnungspraxis also gleichermaßen umstellen müssen.
Nicht korrekt ist es, wie teilweise geschehen, der Branche durch die unzulässigen Tarifregelungen unlautere Absichten zu unterstellen, denn solche Mehrarbeitsregelungen finden sich in Deutschland in Tarifverträgen über alle Branchen hinweg.