6. Dezember 2021

Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert

Kündigt ein Arbeit­nehmer sein Arbeitsver­hält­nis und wird er am Tag der Kündi­gung arbeit­sun­fähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung ins­beson­dere dann erschüt­tern, wenn die bescheinigte Arbeit­sun­fähigkeit pass­ge­nau die Dauer der Kündi­gungs­frist umfasst.

Der Sachver­halt dürfte vie­len nicht unbekan­nt sein: Eine Arbeit­nehmerin hat­te gekündigt und legte mit der Kündi­gung gle­ich erst­ma­lig eine Krankmel­dung vor. Der Arbeit­ge­ber warf ihr „Krank­feiern“ vor und bezahlte den Lohn nicht. – Zu Recht, wie das BAG am 8. Sep­tem­ber 2021 entsch­ied! (BAG 5 AZR 149/21 – Vorin­stanz: LAG Nieder­sach­sen, Urteil vom 13. Okto­ber 2020, 10 Sa 619/19)

Der Arbeit­ge­ber könne den Beweiswert der Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung erschüt­tern, wenn er tat­säch­liche Umstände dar­legt und ggf. beweist, die Anlass zu ern­sthaften Zweifeln an der Arbeit­sun­fähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeit­ge­ber, müsse der Arbeit­nehmer sub­stan­ti­iert dar­legen und beweisen, dass er arbeit­sun­fähig war. Der Beweis könne ins­beson­dere durch Vernehmung des behan­del­nden Arztes nach entsprechen­der Befreiung von der Schweigepflicht erfol­gen. Nach diesen Grund­sätzen hat der Arbeit­ge­ber den Beweiswert der Arbeit­sun­fähigkeits­bescheini­gung erschüt­tert. Die Koinzi­denz zwis­chen der Kündi­gung vom 8. Feb­ru­ar zum 22. Feb­ru­ar 2019 und der am 8. Feb­ru­ar bis zum 22. Feb­ru­ar 2019 bescheinigten Arbeit­sun­fähigkeit begründe einen ern­sthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeit­sun­fähigkeit. Da die Arbeit­nehmerin im Prozess ihrer Dar­legungslast zum Beste­hen ein­er Arbeit­sun­fähigkeit nicht nachgekom­men ist – z. B. durch Ent­bindung ihres Arztes von der Schweigepflicht – stand ihr kein Zahlungsanspruch zu.

 

AMETHYST-Kommentar

Man reibt sich angesichts dieser Entschei­dung ein wenig die Augen und möchte das Ergeb­nis kaum glauben. Zwar kon­nte der Arbeit­ge­ber den Beweiswert der AU-Bescheini­gung schon immer erschüt­tern, aber zu ein­er so konkreten Aus­sage hin­sichtlich der sehr häu­fi­gen Kop­pelung von AU und Kündi­gungs­frist hat­te sich das Gericht bish­er noch nicht hin­reißen lassen. Die aktuelle Entschei­dung ist hil­fre­ich für so manchen Fall in der Praxis!