23. Juni 2025

Entscheidungsgründe des BAG-Urteils zum Konzernprivileg in der Arbeitnehmerüberlassung liegen vor: „und“ = „oder“

Ende Novem­ber ver­gan­genen Jahres berichteten wir über ein bedeu­ten­des Urteil des Bun­de­sar­beits­gerichts (BAG) zum Konz­ern­priv­i­leg in der Arbeit­nehmerüber­las­sung. Die nun vor­liegen­den Entschei­dungs­gründe möcht­en wir zum Anlass nehmen, um diese grundle­gende Entschei­dung noch ein­mal aufzu­greifen und aus­führlich­er darzustellen (Urteil v. 12.11.2024 – Az. 9 AZR 13/24).

 

BAG zum Konzernprivileg

Der Kern des Urteils, wie er sich nach der Veröf­fentlichung der Pressemit­teilung durch das Gericht darstellte, war fol­gen­der: Über­lässt ein Unternehmen, welch­es einem Konz­ern ange­hört, eine Arbeit­nehmerin oder einen Arbeit­nehmer seit Beginn des Arbeitsver­hält­niss­es über mehrere Jahre einem anderen Unternehmen dieses Konz­erns, so sei regelmäßig davon auszuge­hen, dass die Beschäf­ti­gung dieser Arbeit­nehmerin oder dieses Arbeit­nehmers zum Zweck der Über­las­sung erfol­gt ist.

Das hat zur Folge, dass sich der Entlei­her nicht auf das Konz­ern­priv­i­leg aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 Arbeit­nehmerüber­las­sungs­ge­setz (AÜG) berufen kann. Daher geht bei Über­schre­it­en der Über­las­sung­shöch­st­dauer oder im Fall ein­er fehlen­den Erlaub­nis des Ver­lei­hers gem. § 10 Abs. 1 AÜG das Arbeitsver­hält­nis sodann auf den Kun­den über.

Vor dieser Entschei­dung des BAG ging man über­wiegend davon aus, dass Über­las­sun­gen inner­halb von Konz­er­nen ohne weit­ere Restrik­tio­nen möglich wären. Denn § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sieht vor, dass die oben genan­nten Rechts­fol­gen bei ein­er Arbeit­nehmerüber­las­sung zwis­chen Konz­er­nun­ternehmen nicht ein­treten, wenn der Arbeit­nehmer nicht „zum Zweck der Über­las­sung eingestellt und beschäftigt wird“. Die Vorin­stanz hat­te in dieser Frage noch anders geurteilt, weil der Kläger nicht zum Zweck der Über­las­sung eingestellt und beschäftigt wor­den sei.

Die Begrün­dung: „und“ im Sinne von „oder“

Das Bun­de­sar­beits­gericht fol­gte diesem Ver­ständ­nis nicht. Das Konz­ern­priv­i­leg sei vielmehr auch dann nicht anzuwen­den, wenn die Arbeit­nehmerin oder der Arbeit­nehmer zwar nicht zum Zweck der Über­las­sung eingestellt wor­den sei, wohl aber zum Zweck der Über­las­sung beschäftigt werde. Das ergebe sich ins­beson­dere aus Sinn und Zweck von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sowie dem geset­zge­berischen Willen.

Das Gericht räumt dabei zunächst ein, dass der Wort­laut „eingestellt und beschäftigt“ zwar auf den ersten Blick dafür­spreche, dass das Konz­ern­priv­i­leg nur dann nicht angewen­det wer­den kann, wenn sowohl die Ein­stel­lung als auch die Beschäf­ti­gung zum Zweck der Über­las­sung erfol­gen. Es sei jedoch, so das BAG weit­er, nicht zwin­gend, den Wort­laut so zu ver­ste­hen, dass bei­de Merk­male kumu­la­tiv, also gle­ichzeit­ig, vor­liegen müssten. Denn die Kon­junk­tion „und“ könne auch eine Aufzäh­lung oder Aneinan­der­rei­hung aus­drück­en. Ein kumu­la­tives Ver­ständ­nis sei also nicht zwingend.

Ein alter­na­tives Ver­ständ­nis der Merk­male „Ein­stel­lung“ und „Beschäf­ti­gung“ entspreche dem geset­zge­berischen Willen. Dieser habe mit dem Wort­laut von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sich­er­stellen wollen, dass es nicht allein auf den bei Abschluss des Arbeitsver­trags fest­gelegten Leis­tungsin­halt ankomme. Dem­nach solle eben­falls maßge­blich sein, dass die Arbeit­nehmerin oder der Arbeit­nehmer nicht später, also irgend­wann nach der Ein­stel­lung, zum Zweck der Über­las­sung beschäftigt werde. Nach Auf­fas­sung des BAG beab­sichtigte der Geset­zge­ber also die Ver­hin­derung von Umge­hungsstrate­gien, durch die der Arbeitsver­trag nach Ein­stel­lung de fac­to geän­dert und die Arbeit­nehmerin oder der Arbeit­nehmer zum Zweck der Über­las­sung als Lei­har­beit­nehmerin oder Lei­har­beit­nehmer beschäftigt werde. Damit ste­he es der Anwen­dung des Konz­ern­priv­i­legs ent­ge­gen, wenn die Arbeit­nehmerin oder der Arbeit­nehmer zum Zweck der Über­las­sung eingestellt oder beschäftigt werde.

Diesen Befund unter­mauert das Gericht mit einem Hin­weis auf die Sys­tem­atik des AÜG. Dem­nach sei regelmäßig nicht die ver­tragliche, son­dern die tat­säch­liche Über­las­sung entschei­dend und löse die beab­sichtigten Rechts­fol­gen aus. Außer­dem verbleibe dem Konz­ern­priv­i­leg weit­er­hin ein eigen­er Anwen­dungs­bere­ich – trotz dieses alter­na­tiv­en und damit deut­lich restrik­tiv­eren Ver­ständ­niss­es. Denn die (weit­er­hin) zuläs­sige Ein­stel­lung mit der Möglichkeit ein­er Über­las­sung an ein anderes Konz­er­nun­ternehmen sei abzu­gren­zen von ein­er unzuläs­si­gen Ein­stel­lung oder Beschäf­ti­gung zum Zweck der Überlassung.

Euro­parechtlich­er Hintergrund 

Im Hin­ter­grund dürfte auch das Union­srecht eine wesentliche Rolle bei der Entschei­dungs­find­ung des BAG gespielt haben. Denn ein Konz­ern­priv­i­leg sieht die maßge­bliche euro­parechtliche Lei­har­beit­srichtlin­ie nicht vor, sodass in der Lit­er­atur schon lange Bedenken hin­sichtlich der Euro­parecht­skon­for­mität der deutschen Regelung geäußert wer­den. Das vorin­stan­zliche Lan­desar­beits­gericht hat­te hierzu Stel­lung bezo­gen und eine richtlin­ienkon­forme Ausle­gung, in welch­er das „und“ wie nun vom BAG durch ein „oder“ erset­zt würde, abgelehnt und sich dabei u.a. auf die Wort­laut­gren­ze berufen.

Das Bun­de­sar­beits­gericht befand jedoch, dass diese Frage offen­bleiben könne und posi­tion­ierte sich nicht zu ihr. Denn das Konz­ern­priv­i­leg greife im konkreten Fall nicht – unab­hängig von der Frage sein­er Union­srecht­skon­for­mität. Zwar ver­wies das BAG den Fall zurück an das Lan­desar­beits­gericht zur weit­eren Tat­sachen­fest­stel­lung hin­sichtlich der Recht­snatur des Ver­tragsver­hält­niss­es. Unab­hängig vom Aus­gang dieser Tat­sach­en­er­mit­tlung würde das Konz­ern­priv­i­leg jedoch nicht zur Anwen­dung kom­men; denn entwed­er liege zumin­d­est eine Beschäf­ti­gung zum Zweck der Über­las­sung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG vor, oder aber die Ver­trags­beziehun­gen seien als Werkver­trag einzustufen, und dann läge keine Arbeit­nehmerüber­las­sung vor.

Quelle: Bun­de­sar­beits­gericht

 

AMETHYST-Kommentar

Eine als solche zuläs­sige „Konz­ern­lei­he“ liegt nun nur noch dann vor, wenn Arbeit­nehmer für konkrete Pro­jek­te oder zur Bewäl­ti­gung von Auf­tragsspitzen vorüberge­hend in einem anderen Konz­er­nun­ternehmen einge­set­zt wer­den und nicht extra für diesen Zweck eingestellt wor­den sind.

Eine Über­las­sung bleibt natür­lich auch ohne Anwen­dung des Konz­ern­priv­i­legs möglich; dann aber gel­ten eben alle Vorschriften des AÜG – inkl. der Notwendigkeit ein­er AÜ-Erlaub­nis und der Ein­hal­tung der Überlassungshöchstdauer.

JH