Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz aus der Perspektive der Zeitarbeit

Mit dem „Gesetz zur Weit­er­en­twick­lung der Fachkräf­teein­wan­derung“ (kurz: Fachkräf­teein­wan­derungs­ge­setz) soll die Ein­wan­derung von aus­ländis­chen Fachkräften nach Deutsch­land erle­ichtert wer­den. Das neue Gesetz nimmt umfassende Anpas­sun­gen auf drei Ebe­nen bzw. in drei „Säulen“ vor: der Fachkräftesäule, der Erfahrungssäule sowie der Poten­zial­säule. Dabei wer­den beste­hende Ein­wan­derungsmöglichkeit­en wie die Blaue Karte EU aus­ge­baut sowie neue Wege der Ein­wan­derung, ins­beson­dere die neue Chan­cenkarte zur Arbeit­splatz­suche in Deutsch­land, geschaffen.

Nach­dem das Gesetz im August im Bun­des­ge­set­zblatt verkün­det wor­den ist, treten nun im Novem­ber die ersten Änderun­gen in Kraft. Weit­ere Neuerun­gen sollen schrit­tweise im Jahr 2024 fol­gen. Zwar wurde das Gesetz in Medi­en und Öffentlichkeit bere­its bre­it disku­tiert, ein Aspekt blieb dabei aber meist außen vor: die Per­spek­tive der Zeitar­beits­branche. Im Fol­gen­den geben wir Ihnen daher einen präg­nan­ten Überblick über alles, was Sie aus dieser Sicht zum neuen Fachkräf­teein­wan­derungs­ge­setz wis­sen sollten.

Stark begrenzter Zugang der Zeitarbeit zu Fachkräften aus Drittstaaten unverändert

Der Zugang der Zeitar­beit zu Fachkräften aus Drittstaat­en bleibt unverän­dert stark begren­zt. Der Begriff der Drittstaat­en umfasst Per­so­n­en aus Staat­en außer­halb der Europäis­chen Union, des Europäis­chen Wirtschaft­sraumes (Island, Liecht­en­stein, Nor­we­gen) sowie der Schweiz. Die nur sehr geringe Ein­satzmöglichkeit von Per­so­n­en aus diesen Län­dern in der Zeitar­beit geht darauf zurück, dass § 40 Abs. 1 Nr. 2 Aufen­thalts­ge­setz (Aufen­thG) unverän­dert gilt. Dem­nach darf die Bun­de­sagen­tur für Arbeit (BA) ihre Zus­tim­mung zur Erteilung eines Aufen­thalt­sti­tels (§ 39 Aufen­thG) nicht erteilen, wenn die betr­e­f­fende Per­son als Lei­har­beit­nehmerin oder Lei­har­beit­nehmer im Sinne des Arbeit­nehmerüber­las­sungs­ge­set­zes (AÜG) zu arbeit­en beab­sichtigt. Die Beschäf­ti­gung von Per­so­n­en aus Drittstaat­en in der Zeitar­beit ist fol­glich nur in zus­tim­mungs­freien Berufen möglich.

1. Säule: Fachkräfte 

Wie ein­gangs dargestellt, soll die Ein­wan­derung von Arbeit­nehmerin­nen und Arbeit­nehmern auf drei Wegen oder Säulen erfol­gen kön­nen. Die Haupt­säule ist auch mit dem neuen Fachkräf­teein­wan­derungs­ge­setz die Fachkräftesäule geblieben. Sie set­zt ins­beson­dere auf die Blaue Karte EU für Fachkräfte mit akademis­ch­er Ausbildung.

Für die Blaue Karte EU treten im Novem­ber 2023 einige Änderun­gen in Kraft. Ehe­mals nur ein einzel­ner Absatz in § 18b Abs. 2 Aufen­thG, bekommt die Blaue Karte EU nun mit § 18g Aufen­thG eine eigene Norm (aktuell nur als Entwurf einzuse­hen, hier ab S. 13). Inter­es­sant für die Zeitar­beit ist die Blaue Karte EU vor allem deshalb, weil sie für einige Berufe (ins­beson­dere nach der Beschäf­ti­gungsverord­nung [kurz: BeschV]) kein Zus­tim­mungser­forder­nis der Bun­de­sagen­tur für Arbeit vor­sieht. Somit beste­ht hierüber die Möglichkeit, Arbeit­nehmerin­nen und Arbeit­nehmer aus Drittstaat­en für die Zeitar­beit zu gewinnen.

Mit dem neuen Fachkräf­teein­wan­derungs­ge­setz wurde die Gehaltss­chwelle her­abge­set­zt. Nun ist nach § 18g Abs. 1 S. 1 Aufen­thG für die Erteilung der Blauen Karte EU ein Min­dest­ge­halt von 50 % der jährlichen Beitrags­be­mes­sungs­gren­ze in der Renten­ver­sicherung erforder­lich. Das entspricht im Jahr 2023 etwa 43.800 EUR. Für sog. Eng­pass­berufe (aus­führliche Auflis­tung: hier) und Beruf­se­in­steiger (Hochschu­la­b­schluss inner­halb der let­zten drei Jahre) wurde diese Min­dest­ge­haltss­chwelle nochmal auf 45,4 % der Beitrags­be­mes­sungs­gren­ze (im Jahr 2023: rund 39.680 EUR) herabgesetzt.

Nach § 18g Abs. 1 S. 5 Aufen­thG ist ein Hochschul­studi­um nun keine zwin­gende Voraus­set­zung mehr für die Blaue Karte EU. Stattdessen reicht auch der erfol­gre­iche Abschluss eines gle­ich­w­er­ti­gen ter­tiären Bil­dung­spro­gramms von min­destens drei­jähriger Dauer. Die Gle­ich­w­er­tigkeit dieser Qual­i­fika­tion muss sodann durch die zuständi­ge Stelle fest­gestellt wer­den und dabei einem inländis­chen Aus­bil­dungsniveau entsprechen. Maßge­blich ist dabei die Stufe 6 der Inter­na­tionalen Stan­dard­klas­si­fika­tion im Bil­dungswe­sen (ISCED 2011) oder die Stufe 6 des Europäis­chen Qual­i­fika­tion­srah­mens. Erfasst sind ins­beson­dere Abschlüsse, die fol­gen­den deutschen Abschlüssen entsprechen: Tech­niker, Fach­wirt, Meis­ter, Erzieher oder Heil­erziehungspfleger. Am rel­e­van­testen wird dieser Aus­bil­dungsweg zur Blauen Karte EU wohl für den Bere­ich der IT-Spezial­is­ten sein.

Weit­ere rel­e­vante Neu­run­gen sind u.a.: Das konkrete Arbeit­splatzange­bot muss eine Beschäf­ti­gungs­dauer von min­destens sechs Monat­en vor­weisen, § 18g Abs. 3 Aufen­thG. Außer­dem wurde der Arbeit­splatzwech­sel erle­ichtert. Es ent­fällt grund­sät­zlich die bish­er erforder­liche Erlaub­nis der Aus­län­der­be­hörde für einen Job­wech­sel, § 18 Abs. 4 S. 1 Aufen­thG. Stattdessen reicht nun die entsprechende Infor­ma­tion der Aus­län­der­be­hörde über den Vor­gang. Gemäß S. 2 kann die Aus­län­der­be­hörde den Arbeit­splatzwech­sel jedoch für 30 Tage aus­set­zen und inner­halb dieses Zeitraums ablehnen, wenn die Voraus­set­zun­gen für die Erteilung ein­er Blauen Karte EU nicht vor­liegen. Schließlich muss die Arbeit­ge­berin oder der Arbeit­ge­ber der BA nach §§ 4a Abs. 2 S. 3, 39 Abs. 4 Aufen­thG für die Erteilung der Blauen Karte EU ver­schiedene Auskün­fte zum Beschäf­ti­gungsver­hält­nis erteilen. Dies umfasst ins­beson­dere: Arbeit­sent­gelt und ‑zeit­en, son­stige Arbeits­be­din­gun­gen, Sozialver­sicherungspflicht und Erforder­nis ein­er Berufsausübungserlaubnis. 

2. Säule: Potenzial 

Ab dem Früh­som­mer 2024 (01. Juni) wird die sog. Chan­cenkarte einge­führt. Fachkräfte im Sinne von § 18 Abs. 3 Aufen­thG kön­nen sodann ohne weit­ere Voraus­set­zun­gen Zugang zu der in §§ 20a, 20b Aufen­thG n.F. geregel­ten Chan­cenkarte erlan­gen. Daneben gibt es auch einen zweit­en Weg zur Chan­cenkarte: Erforder­lich ist der Nach­weis eines aus­ländis­chen Hochschu­la­b­schlusses, eines min­destens zwei­jähri­gen im Aus­bil­dungsstaat staatlich anerkan­nten Beruf­s­ab­schlusses oder eines von ein­er deutschen Aus­land­shan­del­skam­mer erteil­ten Beruf­s­ab­schlusses sowie von Deutsch- (Niveau A1) oder Englis­chken­nt­nis­sen (Niveau B2).

Wer diese Voraus­set­zun­gen erfüllt, kann sodann nach § 20b Aufen­thG Punk­te sam­meln. Die Kri­te­rien umfassen die Anerken­nung der Qual­i­fika­tio­nen in Deutsch­land, Sprachken­nt­nisse, Beruf­ser­fahrung, Alter und Deutsch­land­bezug sowie das Poten­zial der oder des mitziehen­den Lebens- oder Ehep­art­ner­in oder ‑part­ners. Für den Erhalt der Chan­cenkarte müssen min­destens sechs Punk­te gesam­melt werden.

Rel­e­vant wird die Chan­cenkarte, wie auch schon die Blaue Karte EU, für die Zeitar­beit auf­grund der Zus­tim­mungs­frei­heit. Die Karte wird für max­i­mal ein Jahr mit der Voraus­set­zung eines gesicherten Leben­sun­ter­halts erteilt. Sodann ermöglicht die Chan­cenkarte eine Probebeschäf­ti­gung von bis zu zwei Wochen oder eine Nebenbeschäf­ti­gung von max­i­mal 20 Stun­den pro Woche. Da es sich bei der Chan­cenkarte nicht um einen Beschäf­ti­gungsti­tel han­delt, son­dern diese lediglich einen Suchti­tel darstellt, ist keine Zus­tim­mung der BA erforder­lich. Zwar beste­ht grund­sät­zlich die Möglichkeit der Ver­längerung der Karte um bis zu zwei Jahre bei Vor­liegen eines verbindlichen Ange­bots auf qual­i­fizierte Beschäf­ti­gung. Dem muss jedoch wiederum die BA zus­tim­men (§§ 20a Abs. 5 S. 2, 39 Abs. 3a Aufen­thG), sodass dies für die Zeitar­beit keine rel­e­vante Option ist.

3. Säule: Erfahrung 

Für Per­so­n­en mit zwei­jähriger beruf­sprak­tis­ch­er Erfahrung und einem vom Aus­bil­dungsstaat staatlich anerkan­nten Berufs- oder Hochschu­la­b­schluss sieht das neue Gesetz im Rah­men dieser drit­ten Säule einen neuen Aufen­thalt­sti­tel vor. Die Möglichkeit­en im Bere­ich der Erfahrungssäule unter­liegen jedoch voll­ständig dem Zus­tim­mungser­forder­nis der Bun­de­sagen­tur für Arbeit aus § 40 Abs. 1 Nr. 2 Aufen­thG. Die dritte Säule ist für die Zeitar­beit fol­glich nicht interessant.

Aufenthalte zwecks Ausbildung

Ab dem 01. März 2024 kön­nen auch Per­so­n­en aus Drittstaat­en auf der Suche nach einem Aus­bil­dungs- oder Stu­di­en­platz nach § 17 Abs. 3 Aufen­thG n.F. in Deutsch­land arbeit­en. Dies umfasst eine Beschäf­ti­gung von 20 Stun­den pro Woche oder eine Probebeschäf­ti­gung von bis zu ins­ge­samt zwei Wochen.

Außer­dem wird das Arbeit­stagekon­to ab dem 01. März 2024 für Vol­lzeit-Studierende aus Drittstaat­en ange­hoben. Das zuläs­sige Arbeit­stagekon­to steigt nach § 16b Abs. 3 Aufen­thG n.F. von 120 vollen oder 240 hal­ben Tagen im Jahr für Vol­lzeit­stellen auf 140 Arbeit­stage im Jahr. Für die Anrech­nung von Teilzeitbeschäf­ti­gung wird es sodann zwei Berech­nungsmeth­o­d­en geben. Dabei ist je nach Kalen­der­woche stets diejenige anzuwen­den, die für die oder den Studieren­den gün­stiger ist.

Die erste Berech­nungsmeth­ode entspricht den bish­eri­gen Anrech­nungs­grund­sätzen – mit dem Unter­schied, dass ein hal­ber Arbeit­stag per Gesetz als ein Tag definiert wird, an welchem max­i­mal vier Stun­den gear­beit­et wer­den (ohne Pausen­zeit­en). Das macht also 280 halbe, jew­eils max­i­mal vier­stündi­ge, Arbeit­stage. Die zweite Berech­nungsmeth­ode betra­chtet jew­eils die gesamte Woche und dif­feren­ziert nicht nach den jew­eili­gen Tagen. Während der Vor­lesungszeit gel­ten Tätigkeit­en von bis zu 20 Wochen­stun­den als fik­tive zweiein­halb Arbeit­stage. In der vor­lesungs­freien Zeit bleibt die Berech­nung gle­ich, es gibt aber keine der­ar­tige zeitliche Begrenzung.

 Von bei­den Anpas­sun­gen ist jew­eils auch die Zeitar­beit erfasst.


AMETHYST-Kommentar

Auch dieses Gesetz ist aus Sicht der Zeitar­beit lei­der wieder kein „großer Wurf“. Denn das Zus­tim­mungser­forder­nis der Bun­de­sagen­tur für Arbeit gem. §§ 39, 40 Aufen­thG bleibt unverän­dert beste­hen. Da die Agen­tur gem. § 40 Abs. 1 S. 2 Aufen­thG ihre Zus­tim­mung in der Arbeit­nehmerüber­las­sung nicht erteilen darf, bleiben also alle zus­tim­mungs­bedürfti­gen Beschäf­ti­gun­gen für die Branche weit­er­hin verschlossen.

Immer­hin: Durch die Absenkung der Gehaltss­chwelle auf 43.800 EUR bzw. sog­ar 39.680 EUR und die gle­ichzeit­ige Erweiterung der Optio­nen bei den Eng­pass­berufen wer­den sich zumin­d­est einige zusät­zliche Beschäf­ti­gungsmöglichkeit­en ergeben. 

JH