24. Februar 2012

Betriebsbedingte Kündigung: Fehlender Anschlussauftrag oder auslaufender Vertrag reichen nicht als Grund

LAr­bG Rhein­land-Pfalz — 24.02.2012 — 6 Sa 517/11 | Das LAG Rhein­land-Pfalz hat entsch­ieden, dass die Kündi­gung eines Zeitar­beit­nehmers durch eine Zeitar­beits­fir­ma mit der Begrün­dung von fehlen­den Anschlus­saufträ­gen und eines aus­laufend­en Ver­trages nicht aus­re­icht, selb­st dann nicht, wenn sie Arbeit­nehmer nur an einen einzi­gen Kun­den über­lässt. Das Zeitar­beit­sun­ternehmen ver­lei­ht seine Arbeit­nehmer auss­chließlich an einen Kun­den und kündigte ein­er Arbeit­nehmerin betrieb­s­be­d­ingt, nach­dem der Kunde mehrere Stellen abge­baut hat­te. Die Arbeit­nehmerin klagte gegen die Kündi­gung und bekam recht. Die Begrün­dung des Gerichts: Der Arbeit­ge­ber müsse bei jed­er betrieb­s­be­d­ingten Kündi­gung erläutern, warum es sich nicht um eine vorüberge­hende Auf­tragss­chwankung han­delt, son­dern einen dauer­haften Auf­tragsrück­gang. Zudem müsse der Arbeit­ge­ber immer begrün­den, warum ein Ein­satz des Arbeit­nehmers in einem anderen Unternehmen nicht möglich ist. Auf­tragslück­en müsse eine Zeitar­beits­fir­ma mit einkalkulieren.

Tenor

Die Beru­fung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeits­gerichts Kaiser­slautern — Auswär­tige Kam­mern Pir­masens — vom 11.08.2011 6 Ca 341/11 — wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revi­sion wird nicht zugelassen.

Tatbe­stand

Die Parteien stre­it­en um die Wirk­samkeit ein­er betrieb­s­be­d­ingten Kündigung.

Die Klägerin wird von der Beklagten, die die Erlaub­nis zur gewerb­smäßi­gen Arbeit­nehmerüber­las­sung besitzt, auf­grund eines am 03. April 2008 geschlosse­nen Arbeitsver­trages als “Sach­bear­bei­t­erin Auf­tragsleit­stelle” beschäftigt (Arbeitsver­trag Bl. 4 — 6 d. A.). Die Beklagte beschäftigt ständig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 14. April 2011 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin beste­hende Arbeitsver­hält­nis zum 31. August 2011.

Mit der vor­liegend am 04. Mai 2011 zum Arbeits­gericht erhobe­nen Klage hat sich die Klägerin gegen die ihr gegenüber aus­ge­sproch­ene Kündi­gung gewandt und erstin­stan­zlich deren soziale Recht­fer­ti­gung bean­standet. Die Beklagte habe wed­er dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass ger­ade ihr Arbeit­splatz bei der Fir­ma T-?D wegge­fall­en sei. Auch habe ihr Zeitkon­to bei der Kündi­gung immer noch Über­stun­den aufgewiesen; Kurzarbeit sei für sie nicht beantragt wor­den. Es sei wed­er der Weg­fall ihres Arbeit­splatzes noch die fehlende Möglichkeit eines ander­weit­i­gen Ein­satzes in ein­er plau­si­blen und ein­las­sungs­fähi­gen Weise dargelegt wor­den. Sin­ngemäß gelte das gle­iche für die Sozialauswahl.

Die Klägerin hat erstin­stan­zlich beantragt,

festzustellen, dass das zwis­chen den Parteien beste­hende Arbeitsver­hält­nis durch die frist­gerechte Kündi­gung der Beklagten vom 14. April 2011 nicht been­det wurde.

Die Beklagte hat erstin­stan­zlich

Klage­ab­weisung

beantragt und erwidert,

im Zeit­punkt der Kündi­gung sei T-?D ihr einziger Kunde gewe­sen. Seit Beginn des Jahres 2011 sei klar gewe­sen, dass es ins­beson­dere im Angestell­tenbere­ich der Arbeit­nehmerüber­las­sung bei T-?D zu Ein­schränkun­gen kom­men würde. Bere­its im Feb­ru­ar seien alle Mitar­beit­er über die zunehmende Dra­matik des ein­brechen­den Bedarfs bei T-?D informiert wur­den. Bei der Bun­de­sagen­tur für Arbeit sei für den Rest des Jahres 2011 Kurzarbeit beantragt wor­den und in den fol­gen­den Monat­en auch teil­weise bewil­ligt gewesen.

Nach­dem T-?D zu Beginn des zweit­en Quar­tals den endgülti­gen Weg­fall mehrerer Bedarf­s­po­si­tio­nen mit­geteilt habe, seien alle Mitar­beit­er über beste­hende und nicht beste­hende Ein­satzmöglichkeit­en in anderen Fir­men informiert wor­den. Zahlre­iche Bemühun­gen andere Kun­den für den Ein­satz von Arbeit­nehmern zu akquiri­eren, seien im Falle der Klägerin nicht erfol­gre­ich gewe­sen. Der betriebliche Bedarf sei zum Kündi­gungszeit­punkt auf Dauer ent­fall­en. Die Frage der Sozialauswahl stelle sich wegen ein­er fehlen­den Ver­gle­ichs­gruppe nicht.

Wegen der weit­eren Einzel­heit­en des erstin­stan­zlichen Sach- und Stre­it­standes wird auf das Urteil des Arbeits­gerichts Kaiser­slautern — Auswär­tige Kam­mern Pir­masens — vom 11. August 2011 — 6 Ca 341/11 — (Seite 3 — 5 = Bl. 35 — 37 d. A.) Bezug genommen.

Im vor­erwäh­n­ten Urteil hat das Arbeits­gericht der Klage entsprochen. Zur Begrün­dung wurde im Wesentlichen aus­ge­führt, die Beklagte habe das Vor­liegen drin­gen­der betrieblich­er Erfordernisse nicht dargelegt. Bei ein­er Bindung an außer­be­triebliche Gründe müsse der Arbeit­ge­ber den Rück­gang des Beschäf­ti­gungsvol­u­mens nachvol­lziehbar darstellen. Bei Lei­har­beit­nehmern reiche ein bloßer Hin­weis auf einen aus­laufend­en Auf­trag nicht aus; kurzfristige Auf­tragss­chwankun­gen müssten aus­geschlossen wer­den. Aus dem Vor­brin­gen der Beklagten ließe sich nicht ermit­teln, ob, wann und in welchem Umfang die Beklagte vor dem Ausspruch der Kündi­gung tat­säch­lich Bemühun­gen unter­nom­men habe, die Klägerin ander­weit­ig zu ver­mit­teln. Die im Kam­mert­er­min am 11. August 2011 vorgelegte Liste erfülle die Anforderun­gen nicht und sei gemäß § 61 a Abs. 5 ArbGG ver­spätet vorgelegt wor­den. Insoweit fehle es an einem Beweisangebot.

Gegen das der Beklagten am 26. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich deren am 09. Sep­tem­ber 2011 ein­gelegte und nach Ver­längerung der Beru­fungs­be­grün­dungs­frist am 28. Novem­ber 2011 begrün­dete Berufung.

Die Beklagte bringt zweitin­stan­zlich vor,

das Urteil des BAG vom 18. Mai 2006 — 2 AZR 412/05 — ließe sich auf den vor­liegen­den Fall nicht über­tra­gen, da die dort beklagte Fir­ma ver­schiedene Kun­den gehabt habe. Die Fir­ma T-?D in Z sei der einzige Kunde zur Arbeit­nehmerüber­las­sung gewe­sen. Mit Schreiben vom 07. April 2011 habe diese Fir­ma darauf hingewiesen, dass die Kurzarbeit im Werk W seit Jan­u­ar 2011 auch auf die D habe aus­gedehnt wer­den müssen. Sie — die Beklagte — habe sämtliche Arbeit­nehmer, die für den angestell­ten Bere­ich eingestellt gewe­sen seien, gekündigt bzw. befris­tete Arbeitsver­hält­nisse been­det. Es seien keine weit­eren Kun­den akquiri­ert wor­den. Hierzu sei sie — die Beklagte — auch nicht verpflichtet. Die Fir­ma T-?D habe am 29. August 2011 an der Aus­gangslage gemäß Schreiben vom 07. April 2011 fest­ge­hal­ten. Diese Fir­ma baue ca. 200 Stellen ab.

Die Beklagte hat zweitin­stan­zlich beantragt,

unter Abän­derung des am 11. August 2011 verkün­de­ten Urteils des Arbeits­gerichts Kaiser­slautern — Auswär­tige Kam­mern Pir­masens — 6 Ca 341/11 — wird Klage­ab­weisung beantragt.

Die Klägerin hat

Zurück­weisung

der Beru­fung beantragt, die Über­trag­barkeit des Urteils des BAG vom 18. Mai 2006 angenom­men und fern­er aus­ge­führt, vom Grund­satz her sei das Geschäftsmod­ell der Beklagten dur­chaus auf Über­las­sung von Arbeit­nehmern auf mehrere Fir­men aus­gerichtet. Die Beklagte hätte sub­stan­ti­iert dar­tun müssen, dass die Klägerin wed­er bei der Fir­ma T-?D noch bei anderen Kun­den hätte unterge­bracht wer­den kön­nen. Das Schreiben der Fir­ma T-?D vom 04. April 2011 sei sei ver­spätet vorgelegt. Die Beklagte habe wed­er dargelegt noch bewiesen, dass keine Arbeit mehr vorhan­den sei. Auch das Schreiben der Fir­ma T-?D vom 29. August 2011 sei ver­spätet vorgelegt.

Wegen der weit­eren Einzel­heit­en der Beru­fungs­be­grün­dung wird auf den Schrift­satz der Beklagten vom 28. Novem­ber 2011 (Bl. 66 — 76 d. A.) neb­st sämtlich­er vorgelegter Anla­gen und zur Beru­fungser­widerung auf den Schrift­satz der Klägerin vom 15. Dezem­ber 2011 (Bl. 102 — 105 d. A.) Bezug genommen.

Zugle­ich wird auf die Fest­stel­lun­gen in der Sitzungsnieder­schrift des Lan­desar­beits­gerichts vom 24. Feb­ru­ar 2012 (Bl. 106 — 109 d. A.) verwiesen.

Entschei­dungs­gründe

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte sowie form- und frist­gerecht ein­gelegte Beru­fung ist zulässig.

II.

Das Rechtsmit­tel ist jedoch nicht b e g r ü n d e t.

Das Arbeits­gericht hat in dem ange­grif­f­e­nen Judikat zutr­e­f­fend fest­gestellt, dass das Arbeitsver­hält­nis nicht durch die Kündi­gung vom 14. April 2011 zum 31. August 2011 been­det wor­den ist.

Zur Ver­mei­dung von Wieder­hol­un­gen nimmt die Kam­mer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den dies­bezüglich begrün­den­den Teil des Urteils Bezug und sieht hier unter Über­nahme der Entschei­dungs­gründe von ein­er weit­eren wieder­holen­den Darstel­lung ab.

III.

Wegen der Angriffe der Beru­fung beste­ht Ver­an­las­sung zu fol­gen­den ergänzen­den Ausführungen:

Soweit die Beru­fung meint, die Fest­stel­lun­gen im Urteil des BAG vom 18. Mai 2006 — 2 AZR 412/05 — seien vor­liegend nicht über­trag­bar, ver­mag dem die Beru­fungskam­mer nicht zu fol­gen. Im Rah­men der Arbeit­nehmerüber­las­sung entste­ht ein Über­hang an Lei­har­beit­nehmern, wenn der Ein­satz von Lei­har­beit­nehmern endet, ohne dass der Arbeit­nehmer wed­er bei anderen Entlei­h­ern oder im Betrieb des Belei­hers auf abse­hbare Zeit einge­set­zt wer­den kann.

Hier­bei reicht ein bloßer Hin­weis auf einen aus­laufend­en Auf­trag und auf einen fehlen­den Anschlus­sauf­trag regelmäßig nicht aus, um einen dauer­haften Weg­fall des Beschäf­ti­gungs­bedürfniss­es zu begrün­den. Der Arbeit­ge­ber muss anhand der Auf­trags- und Per­son­alpla­nung vielmehr sub­stan­ti­iert darstellen, warum es nicht nur um eine — kurzfristige — Auf­tragss­chwankung, son­dern um einen dauer­haften Arbeit­srück­gang han­delt und ein ander­er Ein­satz des Arbeit­nehmers bei einem anderen Kun­den bzw. in einem anderen Auf­trag nicht in Betra­cht kommt. Dies gilt um so mehr, als es dem Wesen der Arbeit­nehmerüber­las­sung und dem Geschäft eines Arbeit­nehmerüber­las­sung­sun­ternehmens entspricht, Arbeit­nehmer oft kurzfristig bei ver­schiede­nen Auf­tragge­bern einzuset­zen und zu beschäfti­gen. Insoweit trägt ein Lei­har­beit­sun­ternehmen das Beschäf­ti­gungsrisiko für kurzfristige Auftragslücken.

Es muss dargelegt wer­den, dass in einem repräsen­ta­tiv­en Zeitraum vor Ausspruch der Kündi­gung wed­er im bish­eri­gen Arbeits­bere­ich des Arbeit­nehmers noch in anderen Bere­ichen, in denen er nach zumut­baren Umschu­lungs- und Fort­bil­dungs­maß­nah­men hätte einge­set­zt wer­den kön­nen, Aufträge vorhan­den gewe­sen sind. Diese Grund­sätze sind ohne weit­eres auf die Beklagte von ihrem Geschäftsmod­ell her über­trag­bar. Es bleibt auch dabei, dass die Beklagte bei soge­nan­nten selb­st­binden­den Unternehmer­entschei­dun­gen die Dar­legungs- und Beweispflicht trifft, durch welche von außen kom­menden Umstände in welchen Bere­ichen Beschäf­ti­gungsmöglichkeit­en in welchem Umfang ent­fall­en sind (vgl. hierzu ErfK-?Oetker, 10. Aufl., 430 KSchG § 1 Rz. 261). Hierzu sind der Beru­fungskam­mer keine aus­re­ichen­den Fest­stel­lun­gen möglich.

Angriffe gegen die Fest­stel­lun­gen des Arbeits­gerichts zum ver­späteten Vor­brin­gen nach § 61 a Abs. 5 ArbGG betr­e­f­fend die am 11. August 2011 vorgelegte Liste sind nicht konkretisiert. Die maßge­bliche Vorschrift sieht eine beson­dere Prozess­förderung im Kündi­gungsver­fahren vor und zwingt zur Ein­hal­tung der mit Beschluss des Arbeits­gerichts vom 09. Juni 2011 erfol­gten Aufla­gen. Der Beklagten wurde im Einzel­nen aufgegeben, die Kündi­gungs­gründe unter vor­sor­glichem Beweisantritt darzule­gen; soweit es sich um eine betrieb­s­be­d­ingte Kündi­gung han­delt, die drin­gen­den betrieblichen Gründe, die Sozialauswahl und die Inter­essen­ab­wä­gung auszuführen. Ins­beson­dere — so die weit­eren Aus­führun­gen im Aufla­genbeschluss des Gerichts — hat die Beklage anhand der Auf­trags- und Per­son­alpla­nung darzustellen, warum es sich nicht nur um eine kurzfristige Auf­tragss­chwankung, son­dern um einen dauer­haften Auf­tragsrück­gang han­delt und ein ander­er Ein­satz eines Arbeit­nehmers bei einem anderen Kun­den beziehungsweise in einem anderen Auf­trag — auch gegebe­nen­falls nach entsprechen­den Anpas­sungs­fort­bil­dun­gen — nicht in Betra­cht kommt. Die Frist hierzu war auf 24. Juni 2011 geset­zt. Zugle­ich wurde darauf hingewiesen, dass es sich vor­liegend um Auss­chlussfris­ten han­delt und ver­spätetes Vor­brin­gen zurück­gewiesen wer­den kann. Die Beklagte bleibt mit ihrem Vor­brin­gen, wonach sich aus der ver­spätet vorgelegten Liste hin­re­ichende und let­ztlich erfol­glose Bemühun­gen für einen weit­eren Ein­satz der Klägerin ergäben, präk­ludiert (§ 531 Abs. 1 ZPO).

IV.

Die Koste­nentschei­dung beruht auf § 97 ZPO.

V.

Für die Zulas­sung der Revi­sion liegen die Voraus­set­zun­gen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor.