13. Oktober 2011

Prüfpflicht zur Besetzung freier Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen

BAG — 13.10.2011 — 8 AZR 608/10 | Arbeit­ge­bern dro­ht Schaden­er­satz, wenn sie nicht vor jed­er Stel­lenbe­set­zung bei der Agen­tur für Arbeit anfra­gen, ob es geeignete schwer­be­hin­derte Bewer­ber gibt. Das Bun­de­sar­beits­gericht hat entsch­ieden, dass vor der Beset­zung freier Stellen für alle Arbeit­ge­ber eine Prüf­pflicht beste­ht, ob schwer­be­hin­derte Men­schen für die Stel­lenbe­set­zung zur Ver­fü­gung ste­hen – und zwar unab­hängig davon, ob sich ein schwer­be­hin­dert­er Men­sch bewor­ben oder bei sein­er Bewer­bung diesen Sta­tus offen­bart hat. Dieser Prü­fungspflicht komme ein Arbeit­ge­ber nur nach, wenn er von sich aus vor der Stel­lenbe­set­zung Verbindung mit der Agen­tur für Arbeit aufn­immt und dort nach­fragt, ob es geeignete schwer­be­hin­derte Bewer­ber für die aus­geschriebene Posi­tion gibt. Kommt der Arbeit­ge­ber dieser Verpflich­tung nicht nach, kann er von abgelehn­ten schwer­be­hin­derten Bewer­bern auf Schaden­er­satz verk­lagt wer­den. Der mit einem Grad von 60  schwer­be­hin­derte Kläger hat eine kaufmän­nis­che Beruf­saus­bil­dung, ein Fach­hochschul­studi­um der Betrieb­swirtschaft und die Aus­bil­dung zum gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst absolviert. Er bewarb sich bei der beklagten Gemeinde auf deren aus­geschriebene Stelle für eine Mut­ter­schaftsvertre­tung in den Bere­ichen Per­son­al­we­sen, Bauleit­pla­nung, Liegen­schaften und Ord­nungsamt. Die Beklagte beset­zte die Stelle ander­weit­ig, ohne zuvor zu prüfen, ob der freie Arbeit­splatz mit schwer­be­hin­derten Men­schen beset­zt wer­den kann oder dies­bezüglich Kon­takt zur Agen­tur für Arbeit aufgenom­men zu haben. Der Kläger ver­langte daraufhin eine Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 des All­ge­meinen Gle­ich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG), da er sich wegen sein­er Behin­derung benachteiligt sah.

Tenor

Auf die Revi­sion des Klägers wird das Urteil des Lan­desar­beits­gerichts Baden-?Württemberg vom 6. Sep­tem­ber 2010 — 4 Sa 18/10 — aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Ver­hand­lung und Entschei­dung — auch über die Kosten des Revi­sionsver­fahrens — an das Lan­desar­beits­gericht zurückverwiesen.

Tatbe­stand

Die Parteien stre­it­en über einen Entschädi­gungsanspruch, den der Kläger gel­tend macht, weil er sich wegen sein­er Behin­derung bei ein­er Bewer­bung benachteiligt sieht.

Der 1964 geborene Kläger absolvierte von 1982 bis 1985 eine Aus­bil­dung zum Großhan­del­skauf­mann. Nach­dem er 1987 die Fach­hochschul­reife erwor­ben hat­te, studierte er anschließend bis 1992 Betrieb­swirtschaft­slehre an der Fach­hochschule F. Er schloss mit dem Diplom als „Betrieb­swirt FH“ ab. Danach übte der Kläger bis 1996 ver­schiedene Tätigkeit­en aus. Dem schloss sich bis 1998 eine weit­ere Beruf­saus­bil­dung als Chemisch-?Technischer Assis­tent an, die in den Fol­ge­jahren zu kein­er sta­bilen Beschäf­ti­gung führte. Im Sep­tem­ber 1997 wurde die Schwer­be­hin­derung des Klägers auf­grund eines nicht behand­lungs­bedürfti­gen essen­tiellen Tremors mit einem GdB von 60 anerkannt.

Von Sep­tem­ber 2004 bis August 2005 nahm der Kläger bei ein­er Gemeinde am prak­tis­chen Ein­führungs­jahr für den gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst teil. Anschließend studierte er bis Sep­tem­ber 2008 an der Fach­hochschule für öffentliche Ver­wal­tung in K. Für das Haupt­studi­um wählte er das Fach „Wirtschaft“ und das Wahlpflicht­fach „Rech­nungswe­sen“. Die Staat­sprü­fung für den gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst absolvierte der Kläger mit der Gesamt­note „befriedi­gend“ (7 Punkte).

Die Beklagte ist eine Gemeinde mit rd. 3.700 Ein­wohn­ern, die in ihrer Ver­wal­tung auf acht Stellen zwölf Arbeit­nehmer beschäftigt. Im Som­mer 2009 schrieb die Beklagte eine Stelle für einen Mitarbeiter/eine Mitar­bei­t­erin im Bere­ich Per­son­al­we­sen, Bauleit­pla­nung, Liegen­schaften und Ord­nungsamt zur Mut­ter­schaftsvertre­tung aus. Für dieses Auf­gabenge­bi­et suchte die Beklagte „eine/n Mitarbeiter/in mit der Qual­i­fika­tion des gehobe­nen nicht­tech­nis­chen Ver­wal­tungs­di­en­stes und umfassenden Ken­nt­nis­sen“. Die Vergü­tung sollte gemäß dem TVöD erfol­gen. Nach sein­er Staat­sprü­fung hat­te sich der Kläger um zahlre­iche Stellen im öffentlichen Dienst bewor­ben. Nach­dem er anfänglich in den Bewer­bungss­chreiben auf seine Schwer­be­hin­derteneigen­schaft hingewiesen hat­te, entschloss er sich wegen der Erfol­glosigkeit sein­er Bewer­bun­gen ab einem bes­timmten Zeit­punkt, nur noch den Hin­weis auf eine „Behin­derung“ zu geben. Vom 12. Jan­u­ar bis 31. März 2010 arbeit­ete der Kläger bei einem öffentlichen Arbeit­ge­ber in Oberbayern.

Mit Schreiben vom 8. Juli 2009 bewarb sich der Kläger um die aus­geschriebene Stelle der Beklagten. Am Ende des Bewer­bungss­chreibens führte er aus:

„Durch meine Behin­derung bin ich, insbe­sondere im Verwal­tungs­be­reich, nicht eingeschränkt.“

Bei der Beklagten bear­beit­ete die Beschäftigte M das Bewer­bungsver­fahren. Diese kan­nte den Kläger von dem gemein­samen Besuch der Fach­hochschule K her flüchtig. Frau M hat­te dabei den Ein­druck gewon­nen, dass sich der Kläger anderen Stu­dentin­nen und Stu­den­ten auf­dränge. Davon unter­richtete sie den Bürg­er­meis­ter der Beklagten, der sich daraufhin gegen eine Berück­sich­ti­gung des Klägers entsch­ied. Die Beklagte nahm keine Verbindung mit der Agen­tur für Arbeit auf und prüfte nicht, ob die aus­geschriebene Stelle mit schwer­be­hin­derten Men­schen, ins­beson­dere mit bei der Agen­tur für Arbeit arbeit­s­los oder arbeitssuchend gemelde­ten schwer­be­hin­derten Men­schen beset­zt wer­den könne. Im weit­eren Ver­lauf wur­den zwei der ca. zehn Bewer­ber dem Gemein­der­at vorgestellt. Eingestellt wurde schließlich Frau Mü, die ihr Staat­sex­a­m­en mit acht Punk­ten bestanden hat­te und während des Haupt­studi­ums den Bere­ich „Ver­wal­tung“ und das Schw­er­punk­t­fach „Kom­mu­nalpoli­tik“ gewählt hat­te. Unter dem 30. Juli 2009 sagte die Beklagte dem Kläger schriftlich ab.

Durch Schreiben sein­er dama­li­gen Anwälte ließ der Kläger am 14. August 2009 der Beklagten mit­teilen, dass er seit Sep­tem­ber 1997 im Besitz eines Schwer­be­hin­derte­nausweis­es mit einem GdB von 60 sei. Er rügte, nicht zum Vorstel­lungs­ge­spräch ein­ge­laden wor­den zu sein und machte vor­sor­glich Schadenser­satzansprüche nach § 15 AGG dem Grunde nach gel­tend. Der spätere Prozess­bevollmächtigte des Klägers in den Vorin­stanzen bez­if­ferte mit Schreiben vom 10. Sep­tem­ber 2009 die vom Kläger begehrte Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG auf drei Brut­tomonats­ge­häl­ter oder 6.689,85 Euro. Mit Schreiben vom 24. Sep­tem­ber 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass wegen offen­sichtlich fehlen­der fach­lich­er Eig­nung eine Ein­ladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch ent­behrlich gewe­sen sei.

Mit Ein­gang beim Arbeits­gericht am 26. Okto­ber 2009 hat der Kläger die von ihm ver­langte Entschädi­gung gerichtlich gel­tend gemacht. Zum Zeit­punkt der Beru­fungsver­hand­lung betrieb der Kläger in min­destens 27 weit­eren Fällen Entschädi­gungskla­gen gegen öffentlich-?rechtliche Gebietskörperschaften.

Der Kläger hat die Auf­fas­sung vertreten, die Nichtein­ladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch begründe bere­its die Ver­mu­tung ein­er Benachteili­gung wegen sein­er Behin­derung. Auch habe es die Beklagte unter­lassen, die freie Stelle der Bun­de­sagen­tur für Arbeit zu melden und den Per­son­al­rat und die Schwer­be­hin­derten­vertre­tung über seine Bewer­bung und die Ablehnungs­gründe zu unter­richt­en. Jeden­falls habe Frau M gewusst, dass er schwer­be­hin­dert sei. Dies sei ohne weit­eres an seinem Tremor und daran erkennbar gewe­sen, dass er auf­grund seines fort­geschrit­te­nen Alters nur als Schwer­be­hin­dert­er die Zulas­sung zum Studi­um habe erhal­ten kön­nen. Zumin­d­est habe die Beklagte eine Schwer­be­hin­derteneigen­schaft auf­grund der Zulas­sungs­bes­tim­mungen zur Aus­bil­dung für den gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst erken­nen müssen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verur­teilen, an ihn eine angemessene Entschä­digung, min­destens jedoch 6.689,85 Euro neb­st fünf % Zin­sen über dem Basis­zinssatz seit dem 26. Sep­tem­ber 2009 zu zahlen.

Den Antrag auf Klage­ab­weisung hat die Beklagte damit begrün­det, dass Frau M nicht bekan­nt gewe­sen sei, dass der Kläger schwer­be­hin­dert sei. Frau M und der Kläger hät­ten wed­er im sel­ben Semes­ter studiert noch seien sie näher bekan­nt gewe­sen, weshalb Frau M auch das Alter des Klägers nicht gekan­nt habe. Auch habe die Beklagte aus son­sti­gen Umstän­den die Schwer­be­hin­derteneigen­schaft des Klägers nicht erkan­nt bzw. erken­nen müssen. Im Übri­gen sei die aus­geschriebene Stelle nicht als Arbeit­splatz iSv. SGB IX anzusehen.

Das Arbeits­gericht hat die Klage abgewiesen. Das Lan­desar­beits­gericht hat die Beru­fung des Klägers nach Beweisauf­nahme zur Frage des Beste­hens ein­er Schwer­be­hin­derten­vertre­tung bzw. eines Per­son­al­rats zurück­gewiesen. Mit der vom Lan­desar­beits­gericht zuge­lasse­nen Revi­sion ver­fol­gt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entschei­dungs­gründe

Die Revi­sion des Klägers ist begrün­det. Er hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG, § 81 Abs. 2 SGB IX. Über die Höhe des Entschädi­gungsanspruchs kann der Sen­at nicht entschei­den. Insoweit fehlen tat­säch­liche Fest­stel­lun­gen, die das Lan­desar­beits­gericht inner­halb seines tatrichter­lichen Beurteilungsspiel­raums rechtlich zu würdi­gen haben wird.

A. Das Lan­desar­beits­gericht hat seine klage­ab­weisende Entschei­dung im Wesentlichen wie fol­gt begrün­det: Ein Entschädi­gungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG beste­he nicht, da der Kläger nicht wegen sein­er Behin­derung benachteiligt wor­den sei. Zwar habe er Umstände vor­ge­tra­gen, die als Indiz­tat­sachen iSv. § 22 AGG eine Benachteili­gung wegen sein­er Behin­derung ver­muten ließen. Dem Kläger habe die fach­liche Eig­nung für die aus­geschriebene Stelle nicht offen­sichtlich gefehlt. Die Beklagte habe als öffentliche Arbeit­ge­berin gegen ihre Verpflich­tung nach den § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, § 82 SGB IX ver­stoßen, der Agen­tur für Arbeit frühzeit­ig frei wer­dende und neu zu beset­zende sowie neue Arbeit­splätze zu melden. Diese Verpflich­tung beziehe sich aber nur auf das Vor­feld des eigentlichen Stel­lenbe­set­zungsver­fahrens. Offen­bare ein Bewer­ber seine Schwer­be­hin­derung nicht, so sei die unter­lassene Mel­dung gegenüber der Agen­tur für Arbeit nicht kausal für die in Unken­nt­nis der Schwer­be­hin­derung getrof­fene Entschei­dung des Arbeit­ge­bers. Entsprechen­des gelte für den Ver­stoß gegen die Pflicht der öffentlichen Arbeit­ge­ber zur Ein­ladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch nach § 82 Satz 2 SGB IX. Aus den Bewer­bung­sun­ter­la­gen habe die Beklagte die Schwer­be­hin­derung wed­er gekan­nt noch erken­nen müssen, auch habe eine Pflicht zur Erkundi­gung nicht bestanden. Der Beschäftigten M seien die per­sön­lichen Umstände des Klägers nicht bekan­nt gewe­sen, weshalb die Beklagte auch nicht von seinem Alter oder den rechtlichen Rah­menbe­din­gun­gen für die Stu­dien­zu­las­sung auf eine Schwer­be­hin­derteneigen­schaft des Klägers habe schließen müssen. Die Beweisauf­nahme habe zum Ergeb­nis gehabt, dass bei der Beklagten wed­er ein Per­son­al­rat noch eine Schwer­be­hin­derten­vertre­tung beste­he, so dass die Nicht­beteili­gung der­ar­tiger Gremien kein Indiz darstelle. Im Ergeb­nis fehle es damit an Indizien, die eine Benachteili­gung „wegen“ Behin­derung ver­muten ließen.

B. Die Entschei­dung des Lan­desar­beits­gerichts hält im Ergeb­nis ein­er revi­sion­srechtlichen Über­prü­fung nicht stand.

I. Der auf Zahlung ein­er Entschädi­gung gerichtete Klageantrag ist zuläs­sig, ins­beson­dere hin­re­ichend bes­timmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädi­gung in das Ermessen des Gerichts stellen. Grund­lage hier­für ist § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG, der für einen Schaden, der nicht Ver­mö­genss­chaden ist, eine angemessene Entschädi­gung in Geld vor­sieht. Dem Gericht wird bei der Bes­tim­mung der Höhe der Entschädi­gung ein Beurteilungsspiel­raum eingeräumt (vgl. BT-?Drucks. 16/1780 S. 38), weshalb eine Bez­if­fer­ung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforder­lich ist allein, dass der Kläger Tat­sachen, die das Gericht bei der Bes­tim­mung des Betrags her­anziehen soll, benen­nt und die Größenord­nung der gel­tend gemacht­en Forderung angibt (vgl. BAG 19. August 2010 — 8 AZR 370/09 — AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11; 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21, jew­eils mwN). Diese Voraus­set­zun­gen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachver­halt dargelegt, der dem Gericht grund­sät­zlich die Bes­tim­mung ein­er Entschädi­gung ermöglicht, und den Min­dest­be­trag der angemesse­nen Entschädi­gung mit 6.689,85 Euro beziffert.

II. Die Klage ist begrün­det. Die Beklagte hat bei der Beset­zung der Stelle im Bere­ich Per­son­al­we­sen, Bauleit­pla­nung, Liegen­schaften und Ord­nungsamt im Juli 2009 gegen das Ver­bot ver­stoßen, schwer­be­hin­derte Beschäftigte wegen ihrer Behin­derung zu benachteili­gen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7 und 1 AGG). Der Kläger hat als benachteiligter schwer­be­hin­dert­er Beschäftigter nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, § 15 Abs. 2 AGG Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.

1. Als Bewer­ber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG „Beschäftigter“ und fällt in den per­sön­lichen Anwen­dungs­bere­ich des AGG. Uner­he­blich ist dabei, ob der Bewer­ber für die aus­geschriebene Tätigkeit objek­tiv geeignet ist (BAG 19. August 2010 — 8 AZR 466/09 — AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12; 19. August 2010 — 8 AZR 370/09 — AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11).

2. Die Beklagte ist als „Arbeit­ge­berin“ pas­siv legit­imiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeit­ge­ber im Sinne des Geset­zes, wer „Per­so­n­en nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeit­ge­ber eines Bewer­bers ist also der, der um Bewer­bun­gen für ein von ihm angestrebtes Beschäf­ti­gungsver­hält­nis gebeten hat (BAG 19. August 2010 — 8 AZR 370/09 — AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Auf­grund ihrer Stel­lenauss­chrei­bung trifft dies auf die Beklagte zu.

3. Der Kläger hat auch die geset­zlichen Fris­ten nach § 15 Abs. 4 AGG zur Gel­tend­machung des Anspruchs auf Entschädi­gung gewahrt.

a) Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG inner­halb ein­er Frist von zwei Monat­en schriftlich gel­tend gemacht wer­den. Im Falle ein­er Bewer­bung oder eines beru­flichen Auf­stiegs begin­nt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG). Nach der schriftlichen Ablehnung des Klägers vom 30. Juli 2009 durch die Beklagte war das Schreiben des vor­ma­li­gen Prozess­bevollmächtigten des Klägers vom 10. Sep­tem­ber 2009 frist­wahrend. Auf das vor­ange­gan­gene Schreiben sein­er ehe­ma­li­gen Bevollmächtigten vom 14. August 2009 kommt es nicht an. Im Gel­tend­machungss­chreiben vom 10. Sep­tem­ber 2009 wer­den unter Vor­lage des Schwer­be­hin­derte­nausweis­es und unter Bezug­nahme auf das Bewer­bungss­chreiben des Klägers vom 8. Juli 2009 Pflichtver­stöße gegen die §§ 81, 82 SGB IX gerügt und eine Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. drei Monats­ge­häl­tern mit der Bez­if­fer­ung auf 6.689,85 Euro gel­tend gemacht.

b) Die am 26. Okto­ber 2009 beim Arbeits­gericht Freiburg — Kam­mern Villingen-?Schwenningen — einge­gan­gene Klage wahrte die Drei­monats­frist des § 61b Abs. 1 ArbGG. Dass die Klage zunächst bei einem örtlich unzuständi­gen Gericht ein­gere­icht und mit Beschluss vom 11. Novem­ber 2009 an das Arbeits­gericht Pforzheim ver­wiesen wurde, ist schon deswe­gen nicht von Bedeu­tung, weil der Rechtsstre­it nach Zustel­lung der Klage an die Beklagte inner­halb der Klage­frist an das zuständi­ge Gericht ver­wiesen wurde (vgl. BGH 21. Sep­tem­ber 1961 — III ZR 120/60 — BGHZ 35, 374; GMP/Germelmann 7. Aufl. § 61b ArbGG Rn. 6).

4. Die Beklagte hat den Kläger auch benachteiligt. Eine unmit­tel­bare Benachteili­gung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Per­son wegen eines in § 1 AGG genan­nten Grun­des eine weniger gün­stige Behand­lung erfährt, als eine andere Per­son in ein­er ver­gle­ich­baren Situation.

a) Der Kläger erfuhr eine weniger gün­stige Behand­lung als Frau Mü, die tat­säch­lich zum Vorstel­lungs­ge­spräch bei der Beklagten ein­ge­laden, in die Auswahl ein­be­zo­gen und schließlich eingestellt wurde. Ein Nachteil im Rah­men ein­er Auswahlentschei­dung liegt vor, wenn der Bewer­ber — wie hier der Kläger — nicht in die Auswahl ein­be­zo­gen, son­dern vor­ab aus­geschieden wird. Die Benachteili­gung liegt bere­its in der Ver­sa­gung ein­er Chance (vgl. BAG 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; EuGH 22. April 1997 — C-?180/95 — [Draehm­paehl] Slg.1997, I-?2195 = AP BGB § 611a Nr. 13 = EzA BGB § 611a Nr. 12; BVer­fG 16. Novem­ber 1993 — 1 BvR 258/86 — BVer­fGE 89, 276 = AP BGB § 611a Nr. 9 = EzA BGB § 611a Nr. 9; Schleusen­er in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 24; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 13). Wie sich auch aus § 15 Abs. 2 AGG ergibt, ist nicht erforder­lich, dass der Bewer­ber auf­grund des Benachteili­gungs­grun­des nicht eingestellt wor­den ist. Auch dann, wenn der Bewer­ber selb­st bei diskri­m­inierungs­freier Auswahl nicht eingestellt wor­den wäre, ist ein Anspruch nicht aus­geschlossen, son­dern nur der Höhe nach begrenzt.

b) Der Kläger und Frau Mü befan­den sich auch in ein­er ver­gle­ich­baren Situation.

aa) Das Vor­liegen ein­er ver­gle­ich­baren Sit­u­a­tion set­zt voraus, dass der Kläger objek­tiv für die aus­geschriebene Stelle geeignet war, denn ver­gle­ich­bar (nicht: gle­ich) ist die Auswahlsi­t­u­a­tion nur für Arbeit­nehmer, die gle­icher­maßen die objek­tive Eig­nung für die zu beset­zende Stelle aufweisen (vgl. BAG 7. April 2011 — 8 AZR 679/09 — AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13; 18. März 2010 — 8 AZR 77/09 — AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Für das Vor­liegen ein­er Benachteili­gung ist es erforder­lich, dass eine Per­son, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht aus­gewählt oder schon nicht in Betra­cht gezo­gen wurde. Kön­nte auch ein objek­tiv ungeeigneter Bewer­ber imma­terielle Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­lan­gen, stünde dies nicht im Ein­klang mit dem Schutzz­weck des AGG. Das AGG will vor ungerecht­fer­tigter Benachteili­gung schützen, nicht eine unredliche Gesin­nung des (poten­tiellen) Arbeit­ge­bers sank­tion­ieren. Die objek­tive Eig­nung ist keine ungeschriebene Voraus­set­zung der Bewer­bereigen­schaft, son­dern Kri­teri­um der „ver­gle­ich­baren Sit­u­a­tion“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG (vgl. BAG 19. August 2010 — 8 AZR 466/09 — AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12). Grund­sät­zlich ist für die objek­tive Eig­nung nicht auf das formelle Anforderung­spro­fil, welch­es der Arbeit­ge­ber erstellt hat, abzustellen, son­dern auf die Anforderun­gen, die der Arbeit­ge­ber an einen Stel­len­be­wer­ber stellen durfte (vgl. BAG 7. April 2011 — 8 AZR 679/09 — AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Für die Dauer des Auswahlver­fahrens bleibt der Arbeit­ge­ber an das in der veröf­fentlicht­en Stel­lenbeschrei­bung bekan­nt­gegebene Anforderung­spro­fil gebun­den (BAG 21. Juli 2009 — 9 AZR 431/08 — mwN, BAGE 131, 232 = AP SBG IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

bb) Bei der Beset­zung von Stellen öffentlich­er Arbeit­ge­ber ist weit­er Art. 33 Abs. 2 GG zu beacht­en. Hier­nach beste­ht nach Eig­nung, Befähi­gung und fach­lich­er Leis­tung Anspruch auf gle­ichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Darunter sind auch Stellen zu ver­ste­hen, die mit Arbeit­ern und Angestell­ten beset­zt wer­den. Art. 33 Abs. 2 GG dient mit der Anforderung ein­er Beste­nauslese zum einen dem öffentlichen Inter­esse an der best­möglichen Beset­zung der Stellen des öffentlichen Dien­stes, dessen fach­lich­es Niveau und rechtliche Integrität gewährleis­tet wer­den sollen. Zum anderen trägt sie dem berechtigten Inter­esse der Bewer­ber an ihrem beru­flichen Fortkom­men Rech­nung. Art. 33 Abs. 2 GG begrün­det ein grun­drechts­gle­ich­es Recht auf rechts­fehler­freie Ein­beziehung in die Bewer­ber­auswahl und eine Durch­führung des Auswahlver­fahrens anhand der in der Regelung genan­nten Auswahlkri­te­rien (BAG 7. April 2011 — 8 AZR 679/09 — AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13; 23. Jan­u­ar 2007 — 9 AZR 492/06 — BAGE 121, 67 = AP ZPO 1977 § 233 Nr. 83 = EzA GG Art. 33 Nr. 30). Der Arbeit­ge­ber des öffentlichen Dien­stes ist somit verpflichtet, für die zu beset­zende Stelle ein Anforderung­spro­fil festzule­gen und nachvol­lziehbar zu doku­men­tieren, weil nur so seine Auswahlentschei­dung nach den Kri­te­rien der Beste­nauslese gerichtlich über­prüft wer­den kann (BAG 7. April 2011 — 8 AZR 679/09 — mwN, aaO). Die Fes­tle­gung des Anforderung­spro­fils muss dabei im Hin­blick auf die Anforderun­gen der zu beset­zen­den Stelle sach­lich nachvol­lziehbar sein, wobei allerd­ings der von der Ver­fas­sung dem öffentlichen Arbeit­ge­ber gewährte Beurteilungsspiel­raum nur eine eingeschränk­te gerichtliche Kon­trolle zulässt.

cc) Unter Beach­tung dieser Maßstäbe beste­hen an der objek­tiv­en Eig­nung des Klägers für die von der Beklagten aus­geschriebene Stelle keine Zweifel. Die Beklagte hat mit ihrer Auss­chrei­bung, wonach ein/e Mitarbeiter/in mit „der Qual­i­fika­tion des gehobe­nen nicht­tech­nis­chen Ver­wal­tungs­di­en­stes und umfassenden Ken­nt­nis­sen“ gesucht wird, das Anforderung­spro­fil für die zu beset­zende Stelle aufgestellt und doku­men­tiert. Wed­er wer­den die „umfassenden Ken­nt­nisse“ in einem bes­timmten Gebi­et ver­langt, noch wird zusät­zlich zur Qual­i­fika­tion für den gehobe­nen nicht­tech­nis­chen Ver­wal­tungs­di­enst eine bes­timmte Min­dest­note in der Staat­sprü­fung als Voraus­set­zung aufgestellt. Der Kläger hat die Staat­sprü­fung für den gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst abgelegt und ver­fügt damit über umfassende Ken­nt­nisse, wenn auch — auf­grund sein­er Schw­er­punk­t­set­zung — eher auf betrieb­swirtschaftlichem Gebi­et. Dies ist jedoch im Hin­blick auf das verbindliche Anforderung­spro­fil der Beklagten nicht relevant.

5. Bei der von der Beklagten aus­geschriebe­nen Stelle han­delt es sich auch um einen Arbeit­splatz iSd. § 82 Satz 1 SGB IX. § 82 Satz 1 SGB IX ver­weist auf § 73 SGB IX, der in Abs. 1 einen funk­tionalen Arbeit­splatzbe­griff enthält (Groß­mann GK-?SGB IX Stand Okto­ber 2011 § 73 Rn. 15; Trenk-?Hinterberger in HK-?SGB IX 3. Aufl. § 73 Rn. 5). Danach sind Arbeit­splätze im Sinne des Teils 2 des SGB IX alle Stellen, auf denen Arbeit­nehmer und Arbeit­nehmerin­nen, Beamte und Beamtin­nen, Richter und Rich­terin­nen sowie Auszu­bildende und andere zu ihrer beru­flichen Bil­dung Eingestellte beschäftigt wer­den. Arbeit­splatz ist diejenige Stelle, in deren Rah­men eine bes­timmte Tätigkeit auf der Grund­lage eines Arbeits-?, Dienst- oder Aus­bil­dungsver­hält­niss­es mit all den sich daraus ergeben­den Recht­en und Pflicht­en vol­l­zo­gen wird (vgl. BVer­wG 8. März 1999 — 5 C 5/98 — NZA 1999, 826). Bei der aus­geschriebe­nen Stelle han­delt es sich um einen Arbeit­splatz iSv. §§ 82, 73 Abs. 1 SGB IX. Ob die Ein­schränkun­gen des § 73 Abs. 2 SGB IX nur für die Berech­nungs- und Anrech­nungsvorschriften der §§ 71, 74, 75 und 76 SGB IX von Bedeu­tung sind und es im Übri­gen beim all­ge­meinen Arbeit­splatzbe­griff des § 73 Abs. 1 SGB IX verbleibt, kann vor­liegend schon deswe­gen dahin­ste­hen, weil die von der Beklagten zu beset­zende Stelle ger­ade eine Mut­ter­schaftsvertre­tung sein sollte, also noch nicht mit ein­er Vertreterin oder einem Vertreter beset­zt war (§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX).

6. Die nachteilige Behand­lung hat der Kläger auch „wegen sein­er Behin­derung“ erfahren.

a) Der Begriff der Behin­derung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt wer­den dür­fen, entspricht der geset­zlichen Def­i­n­i­tion in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (vgl. BT-?Drucks. 16/1780 S. 31). Men­schen sind danach behin­dert, wenn ihre kör­per­liche Funk­tion, geistige Fähigkeit oder seel­is­che Gesund­heit mit hoher Wahrschein­lichkeit länger als sechs Monate von dem für das Leben­salter typ­is­chen Zus­tand abwe­icht und daher ihre Teil­habe am Leben in der Gesellschaft beein­trächtigt ist. Der Begriff der „Behin­derung“ ist damit weit­er als der Begriff der „Schwer­be­hin­derung“ im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX; auf einen bes­timmten Grad der Behin­derung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 — 9 AZR 823/06 — BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; Schleusen­er in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 66; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 39). Die Ausweitung des Benachteili­gungsver­bots über den Kreis der Schwer­be­hin­derten (§ 81 Abs. 2 SGB IX) auf alle behin­derten Men­schen ist durch das union­srechtliche Begriffsver­ständ­nis gefordert (vgl. ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 1 AGG Rn. 10 mwN). Im Hin­blick auf die Richtlin­ie 2000/78/EG ist eine ein­heitlich gel­tende Ausle­gung des Behin­derten­be­griffs notwendig, der eine Beschränkung auf „Schwer­be­hin­derung“ nicht ken­nt (vgl. BAG 3. April 2007 — 9 AZR 823/06 — aaO). Der Kläger, der an einem essen­tiellen Tremor lei­det und für den seit dem 23. Sep­tem­ber 1997 ein Grad der Behin­derung von 60, also eine Schwer­be­hin­derung, fest­gestellt ist, unter­fällt damit dem Behin­derten­be­griff des § 1 AGG.

b) Der Kausalzusam­men­hang zwis­chen nachteiliger Behand­lung und Behin­derung ist bere­its dann gegeben, wenn die Benachteili­gung an die Behin­derung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-?Drucks. 16/1780 S. 32 zu § 3 Abs. 1 AGG). Dabei ist es nicht erforder­lich, dass der betr­e­f­fende Grund das auss­chließliche Motiv für das Han­deln des Benachteili­gen­den ist. Aus­re­ichend ist vielmehr, dass die Behin­derung Bestandteil eines Motivbün­dels ist, welch­es die Entschei­dung bee­in­flusst hat (vgl. BAG 27. Jan­u­ar 2011 — 8 AZR 580/09 — EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 — 8 AZR 530/09 — AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 7 Rn. 14; Schleusen­er in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 11; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 7 AGG Rn. 3). Auf ein schuld­haftes Han­deln oder gar eine Benachteili­gungsab­sicht kommt es nicht an (vgl. BAG 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — aaO).

Hin­sichtlich der Kausal­ität zwis­chen Nachteil und dem ver­pön­ten Merk­mal ist in § 22 AGG eine Beweis­las­tregelung getrof­fen, die sich auch auf die Dar­legungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach sein­er Dar­legungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteili­gung wegen eines ver­bote­nen Merk­mals ver­muten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vor­ge­tra­ge­nen Tat­sachen aus objek­tiv­er Sicht mit über­wiegen­der Wahrschein­lichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteili­gung wegen dieses Merk­mals erfol­gt ist. Durch die Ver­wen­dung der Wörter „Indizien“ und „ver­muten“ bringt das Gesetz zum Aus­druck, dass es hin­sichtlich der Kausal­ität zwis­chen einem der in § 1 AGG genan­nten Gründe und ein­er ungün­stigeren Behand­lung genügt, Hil­f­s­tat­sachen vorzu­tra­gen, die zwar nicht zwin­gend den Schluss auf die Kausal­ität erfordern, die aber die Annahme recht­fer­ti­gen, dass Kausal­ität gegeben ist (BAG 27. Jan­u­ar 2011 — 8 AZR 580/09 — EzA AGG § 22 Nr. 3; 20. Mai 2010 — 8 AZR 287/08 (A) — AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1). Liegt eine Ver­mu­tung für die Benachteili­gung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweis­last dafür, dass kein Ver­stoß gegen die Bes­tim­mungen zum Schutz vor Benachteili­gung vorgele­gen hat.

c) Die Würdi­gung der Tat­sachen­gerichte, ob die von einem Bewer­ber vor­ge­tra­ge­nen oder unstre­it­i­gen Tat­sachen eine Benachteili­gung wegen sein­er Behin­derung ver­muten lassen, ist nur beschränkt revis­i­bel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeu­gung bzw. Nichtüberzeu­gung von ein­er über­wiegen­den Wahrschein­lichkeit für die Kausal­ität zwis­chen ein­er Behin­derung und einem Nachteil kann revi­sion­srechtlich nur darauf über­prüft wer­den, ob sie möglich und in sich wider­spruchs­frei ist und nicht gegen Denkge­set­ze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze ver­stößt (BAG 27. Jan­u­ar 2011 — 8 AZR 580/09 — EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 — 8 AZR 530/09 — AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 24. April 2008 — 8 AZR 257/07 — AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6 zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF bzgl. ein­er geschlechts­be­zo­ge­nen Benachteiligung).

d) Ob die Ver­let­zung ein­er Unter­rich­tungspflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX Indizwirkung nur beibeste­hen­dem Per­son­al­rat und/oder Schwer­be­hin­derten­vertre­tung hat — wovon das Lan­desar­beits­gericht aus­ge­gan­gen ist — oder aber eine eigen­ständi­ge, von den Sätzen 4 bis 8 unab­hängige Pflicht des Arbeit­ge­bers darstellt, die auch dann beste­ht, wenn es keinen Betriebs-?/Personalrat oder keine Schwer­be­hin­derten­vertre­tung gibt (so Knit­tel SGB IX Kom­men­tar 5. Aufl. § 81 Rn. 44) kann vor­liegend dahin­ste­hen. Jeden­falls ist von ein­er Indizwirkung iSd. § 22 AGG nur dann auszuge­hen, wenn wie bei der Pflicht zur Ein­ladung zum Vorstel­lungs­ge­spräch nach § 82 Satz 2 SGB IX dem Arbeit­ge­ber die Schwer­be­hin­derteneigen­schaft oder die Gle­ich­stel­lung des Bewer­bers bekan­nt gewe­sen ist oder er sich auf­grund der Bewer­bung­sun­ter­la­gen diese Ken­nt­nis hätte ver­schaf­fen kön­nen. Andern­falls kann der Pflicht­en­ver­stoß dem Arbeit­ge­ber nicht zugerech­net wer­den (vgl. BAG 18. Novem­ber 2008 — 9 AZR 643/07 — AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19; 16. Sep­tem­ber 2008 — 9 AZR 791/07 — BAGE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; Knit­tel aaO Rn. 91b; Düwell in: LPK-?SGB IX 3. Aufl. § 82 Rn. 19; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 10 zur Nicht­beteili­gung der Schwer­be­hin­derten­vertre­tung). Eine über­wiegende Wahrschein­lichkeit für einen Kausalzusam­men­hang zwis­chen Benachteili­gung und eines der in § 1 AGG genan­nten Merk­male kann aus einem Ver­fahrensver­stoß nur dann abgeleit­et wer­den, wenn der Arbeit­ge­ber anhand der objek­tiv beste­hen­den Umstände erkan­nt hat oder erken­nen musste, dass ihn eine entsprechende Pflicht trifft. Dies ist der Fall, wenn der Arbeit­ge­ber pos­i­tive Ken­nt­nis von der Schwer­be­hin­derung oder Gle­ich­stel­lung oder zumin­d­est Anlass dazu hat­te, eine solche anzunehmen.

aa) Daher obliegt es dem abgelehn­ten Bewer­ber darzule­gen, dass dem Arbeit­ge­ber die Schwer­be­hin­derteneigen­schaft oder Gle­ich­stel­lung bekan­nt gewe­sen ist oder er sich auf­grund der Bewer­bung­sun­ter­la­gen diese Ken­nt­nis jeden­falls hätte ver­schaf­fen müssen (Düwell in: LPK-?SGB IX 3. Aufl. § 82 Rn. 19). Ander­er­seits hat der Arbeit­ge­ber die Erledi­gung sein­er Per­son­alan­gele­gen­heit­en so zu organ­isieren, dass er seine geset­zlichen Pflicht­en zur Förderung schwer­be­hin­dert­er Bewer­ber erfüllen kann. Die für den Arbeit­ge­ber han­del­nden Per­so­n­en sind verpflichtet, das Bewer­bungss­chreiben voll­ständig zu lesen und zur Ken­nt­nis zu nehmen. Ein ord­nungs­gemäßer Hin­weis auf eine Schwer­be­hin­derung liegt vor, wenn die Mit­teilung in ein­er Weise in den Emp­fangs­bere­ich des Arbeit­ge­bers gelangt ist, die es ihm ermöglicht, die Schwer­be­hin­derteneigen­schaft des Bewer­bers zur Ken­nt­nis zu nehmen (BAG 16. Sep­tem­ber 2008 — 9 AZR 791/07 — BAGE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17). Zwar muss der Bewer­ber keinen Schwer­be­hin­derte­nausweis oder seinen Gle­ich­stel­lungs­bescheid vor­legen, jedoch muss sein Hin­weis so beschaf­fen sein, dass ein gewöhn­lich­er Leser der Bewer­bung die Schwer­be­hin­derung oder Gle­ich­stel­lung zur Ken­nt­nis nehmen kann.

bb) Danach ist die Würdi­gung des Lan­desar­beits­gerichts revi­sion­srechtlich nicht zu bean­standen, wonach den Bewer­bung­sun­ter­la­gen des Klägers kein aus­re­ichen­der Hin­weis auf eine Schwer­be­hin­derung oder Gle­ich­stel­lung des Klägers zu ent­nehmen war und im Übri­gen auch keine pos­i­tive Ken­nt­nis von der Schwer­be­hin­derteneigen­schaft des Klägers bei der Beklagten bestand. Der Kläger hat­te seinen Bewer­bung­sun­ter­la­gen keinen Schwer­be­hin­derte­nausweis beigelegt, wozu auch keine Pflicht bestand. Allerd­ings hat er auch im Bewer­bungss­chreiben aus­ge­führt „durch meine Behin­derung bin ich, ins­beson­dere im Ver­wal­tungs­bere­ich, nicht eingeschränkt“. Die Würdi­gung des Lan­desar­beits­gerichts, hier­aus habe die Beklagte nicht ent­nehmen müssen, dass beim Kläger eine Schwer­be­hin­derung vor­liegt, ver­stößt nicht gegen Denkge­set­ze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze. Auf­grund der Weite des Behin­derten­be­griffs fall­en auch Ein­schränkun­gen hierunter, die unter­halb der Schwelle eines Grades der Behin­derung von 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX), 30 oder gar 20 liegen und daher die beson­deren Pflicht­en nach §§ 81, 82 SGB IX, die nur für schwer­be­hin­derte und diesen gle­ichgestellte behin­derte Men­schen gel­ten (§ 68 Abs. 1 SGB IX), nicht aus­löst. Der Sen­at hat zwis­chen­zeitlich kargestellt, dass sich für die Zeit nach Inkraft­treten des AGG ein ein­fach­be­hin­dert­er Bewer­ber im Sinne von Ver­mu­tungstat­sachen auf Ver­stöße des Arbeit­ge­bers im Bewer­bungsver­fahren gegen die §§ 81 ff. SGB IX nicht mit Erfolg berufen kann (BAG 27. Jan­u­ar 2011 — 8 AZR 580/09 — EzA AGG § 22 Nr. 3; Bey­er jurisPR-?ArbR 35/2011 Anm. 2). Aus den son­sti­gen Bewer­bung­sun­ter­la­gen, ins­beson­dere dem Lebenslauf des Klägers ergeben sich keine aus­re­ichen­den Hin­weise auf eine Schwer­be­hin­derung. Zutr­e­f­fend ist das Lan­desar­beits­gericht davon aus­ge­gan­gen, dass wegen des Alters des Klägers im Zusam­men­hang mit der Zulas­sung zum Studi­um und des Hin­weis­es auf die Behin­derung kein aus­re­ichen­der Hin­weis auf eine Schwer­be­hin­derung vor­lag. Unab­hängig von der Frage, ob ein aus­re­ichen­der Hin­weis auf eine Schwer­be­hin­derung auch dann vor­liegt, wenn diese wiederum nur aus son­sti­gen Umstän­den wie Leben­salter bei Aus­bil­dungs­be­ginn etc. abgeleit­et wer­den kann, musste die Beklagte aus dem Leben­salter des am 23. März 1964 gebore­nen Klägers und dem Beginn des Studi­ums an der Fach­hochschule K im Sep­tem­ber 2005 (Ein­führung­sprak­tikum ab Sep­tem­ber 2004) nicht von ein­er Schwer­be­hin­derteneigen­schaft aus­ge­hen. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 APrOVw gD BW (Aus­bil­dungs- und Prü­fung­sor­d­nung für den gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst Baden-?Württemberg) wird zur Aus­bil­dung zuge­lassen, wer als schwer­be­hin­dert­er Men­sch im Zeit­punkt der Ein­stel­lung in den Vor­bere­itungs­di­enst das 40. Leben­s­jahr noch nicht vol­len­det haben wird bzw. wer die Voraus­set­zun­gen voraus­sichtlich zum Zeit­punkt der Ein­stel­lung in das Ein­führung­sprak­tikum erfüllen wird. Hier­nach war eine Zulas­sung des schwer­be­hin­derten Klägers zur Aus­bil­dung gar nicht möglich. Auch der Kläger behauptet dies nicht. Vielmehr trägt der Kläger selb­st vor, die aus­nahm­sweise Zulas­sung zur Aus­bil­dung habe auf ein­er Entschei­dung des Lan­des­per­son­alauss­chuss­es nach § 55 Lan­deslauf­bah­n­verord­nung Baden-?Württemberg iVm. § 6 Abs. 3 APrOVw gD BW beruht. Zu Recht ist schließlich das Lan­desar­beits­gericht davon aus­ge­gan­gen, dass bei Frau M keine pos­i­tive Ken­nt­nis von der Schwer­be­hin­derteneigen­schaft des Klägers bestand, die der Beklagten zuzurech­nen wäre. Selb­st wenn zugun­sten des Klägers eine Stel­lung von Frau M unter­stellt wird, die eine Wis­senszurech­nung ermöglicht und darüber hin­aus nicht nur das geschäftlich erlangte Wis­sen von Frau M, son­dern auch pri­vat erlangtes Wis­sen in das zuzurech­nende Wis­sen ein­be­zo­gen wird (vgl. Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 166 BGB Rn. 6), fehlt es an ein­er vom Kläger dargelegten pos­i­tiv­en Ken­nt­nis Frau M von sein­er Schwer­be­hin­derteneigen­schaft. Auch mit der Revi­sion bringt der Kläger allein vor, „an der FH K sei bekan­nt gewe­sen, dass er schwer­be­hin­dert ist“. Dies stellt keinen aus­re­ichen­den Sachvor­trag zur Ken­nt­nis von Frau M dar, die mit dem Kläger wed­er im gle­ichen Semes­ter studiert hat noch näher per­sön­lich bekan­nt war. Auch der Kläger behauptet nicht, er habe Frau M über seine Schwer­be­hin­derung zu irgen­deinem Zeit­punkt informiert. Entsprechen­des gilt für den Sachvor­trag des Klägers, Frau M habe die Schwer­be­hin­derteneigen­schaft auf­grund seines Alters oder des Tremors erken­nen müssen. Auch dieser Sachvor­trag ist nicht schlüs­sig. Der Kläger behauptet nicht, dass Frau M sein Alter bekan­nt gewe­sen sei. Auch gibt er nicht an, was Frau M bezüglich seines Tremors wahrgenom­men haben soll. Zwar ist der Nach­weis der Schwer­be­hin­derteneigen­schaft gegenüber dem Arbeit­ge­ber dann ent­behrlich, wenn die Schwer­be­hin­derung offenkundig ist (vgl. BAG 9. Juni 2011 — 2 AZR 703/09 — EzA SGB IX § 85 Nr. 7; 13. Feb­ru­ar 2008 — 2 AZR 864/06 — mwN, BAGE 125, 345 = AP SGB IX § 85 Nr. 5 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 83). Dabei muss jedoch nicht nur das Vor­liegen ein­er oder mehrerer Beein­träch­ti­gun­gen offenkundig sein, son­dern auch, dass der Grad der Behin­derung auf wenig­stens 50 in einem Fest­stel­lungsver­fahren fest­ge­set­zt würde. Eine von Frau M wahrgenommene, offenkundi­ge Beein­träch­ti­gung, die eben­so offenkundig auch mit einem GdB von min­destens 50 zu bew­erten war, hat der Kläger nicht schlüs­sig vor­ge­tra­gen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass seine Bewe­gungsstörun­gen so erhe­blich waren oder sind, dass sie auch von Frau M ohne sozialmedi­zinis­che Vor­bil­dung als offen­sichtliche Schwer­be­hin­derung wahrzunehmen und einzustufen waren. Daher hat das Lan­desar­beits­gericht zu Recht von ein­er Beweisauf­nahme hierzu abge­se­hen. Zutr­e­f­fend hat das Lan­desar­beits­gericht eine Pflicht des Arbeit­ge­bers, sich nach ein­er Schwer­be­hin­derteneigen­schaft zu erkundi­gen, abgelehnt. Eine solche, von einem etwa beste­hen­den Recht zur Erkundi­gung zu unter­schei­dende Pflicht zur Erkundi­gung beste­ht schon deshalb nicht, weil der Arbeit­ge­ber nicht berechtigt ist, sich tätigkeit­sneu­tral nach dem Beste­hen ein­er Schwer­be­hin­derteneigen­schaft zu erkundi­gen, wenn er hier­mit keine pos­i­tive För­der­maß­nahme verbinden will. Ger­ade durch solche Nach­fra­gen kann der Arbeit­ge­ber Indiz­tat­sachen schaf­fen, die ihn bei ein­er Entschei­dung gegen den schwer­be­hin­derten Bewer­ber in die Dar­legungslast nach § 22 AGG brin­gen kön­nen. Eine Pflicht zur Erkundi­gung zielte auf ein ver­botenes Dif­feren­zierungsmerk­mal nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in Verb. mit § 1 AGG und stellte eine unmit­tel­bare oder mit­tel­bare Benachteili­gung dar (ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 BGB Rn. 272 mwN; Düwell in: LPK-?SGB IX 3. Aufl. § 85 Rn. 22; Schleusen­er in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 30, 32 f.). Der Arbeit­ge­ber kann nicht verpflichtet sein, mit ein­er Frage zur Schwer­be­hin­derteneigen­schaft Tat­sachen zu schaf­fen, die ihm als Indiz­tat­sachen nach § 22 AGG in einem späteren möglichen Prozess ent­ge­genge­hal­ten wer­den können.

e) Der Kläger hat aber ein Indiz iSd. § 22 AGG dadurch dargelegt, dass er darauf ver­wiesen hat, die Beklagte habe ihre Prüf- und Meldepflicht­en nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX verletzt.

aa) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein Arbeit­ge­ber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeit­splätze mit schwer­be­hin­derten Men­schen, ins­beson­dere mit bei der Agen­tur für Arbeit arbeit­s­los oder arbeitssuchend gemelde­ten schwer­be­hin­derten Men­schen beset­zt wer­den kön­nen. Weit­er ist nach § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX jed­er Arbeit­ge­ber verpflichtet, vor der Beset­zung ein­er freien Stelle frühzeit­ig mit der Agen­tur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Die Ver­let­zung dieser Pflicht ist als Ver­mu­tungstat­sache für einen Zusam­men­hang zwis­chen Benachteili­gung und Behin­derung geeignet (vgl. BAG 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21). Nach den binden­den Fest­stel­lun­gen des Lan­desar­beits­gerichts prüfte die Beklagte ent­ge­gen der sich aus § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ergeben­den Pflicht vor der Beset­zung der Stelle nicht, ob der freie Arbeit­splatz mit schwer­be­hin­derten Men­schen beset­zt wer­den kann. Auch die Agen­tur für Arbeit wurde nicht eingeschal­tet, § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Daher wurde auch der frei wer­dende und neu zu beset­zende Arbeit­splatz der Agen­tur für Arbeit nicht gemeldet (§ 82 Satz 1 SGB IX).

bb) Der Sen­at teilt die Annahme des Lan­desar­beits­gerichts nicht, die Kausal­ität zwis­chen dem Merk­mal der Behin­derung und der benachteili­gen­den Behand­lung ent­falle, weil der Kläger der Beklagten nur eine „Behin­derung“ mit­geteilt habe. Als schwer­be­hin­dert­er Men­sch (GdB von 60) kann sich der Kläger auf Ver­stöße gegen § 81 SGB IX berufen (vgl. BAG 27. Jan­u­ar 2011 — 8 AZR 580/09 — EzA AGG § 22 Nr. 3). Der zurechen­bare Pflichtver­stoß der Beklagten begrün­det eine über­wiegende Wahrschein­lichkeit dafür, dass die dem Kläger zuteil gewor­dene benachteili­gende Behand­lung auf dem Merk­mal der Behin­derung beruht. Mit ihrem Ver­hal­ten erweckt die Beklagte den Anschein, nicht nur an der Beschäf­ti­gung schwer­be­hin­dert­er Men­schen unin­ter­essiert zu sein, son­dern auch möglichen Ver­mit­tlungsvorschlä­gen und Bewer­bun­gen von arbeit­suchen­den schwer­be­hin­derten Men­schen aus dem Weg gehen zu wollen (Düwell in: LPK-?SGB IX 3. Aufl. § 81 Rn. 57). Der Ver­stoß gegen die Pflicht­en nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX deutet darauf hin, dass das Merk­mal der Behin­derung Teil des Motivbün­dels der Beklagten bei der benachteili­gen­den Behand­lung von Schwer­be­hin­derten und damit auch des schwer­be­hin­derten Klägers war. Andern­falls würde der durch beson­dere ver­fahren­srechtliche Vorkehrun­gen zu gewährende Schutz vor ein­er Benachteili­gung weit­ge­hend leer­laufen (BVer­wG 3. März 2011 — 5 C 16/10 — Rn. 27, BVer­wGE 139, 135). Ob sich ein solch­er Ver­fahrensver­stoß in der Auswahlentschei­dung konkret aus­gewirkt hat, ist uner­he­blich, da § 15 Abs. 2 AGG auch bei der besseren Eig­nung von Mit­be­wer­bern eine Entschädi­gung gewährt. Das Lan­desar­beits­gericht hat verkan­nt, dass § 15 Abs. 2 AGG in Verb. mit § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 SGB IX bere­its vor einem diskri­m­inieren­den Ver­fahren schützt (BAG 21. Juli 2009 — 9 AZR 431/08 — Rn. 42, BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

7. Die Beklagte hat die Ver­mu­tung der Benachteili­gung wegen der Behin­derung des Klägers nicht wider­legt. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­desar­beits­gerichts recht­fer­tigt ihr Vor­brin­gen nicht den Schluss, dass die Behin­derung des Klägers in dem Motivbün­del nicht enthal­ten war, das die Beklagte beim Auss­chluss des Klägers aus dem Auswahlver­fahren beeinflusste.

a) Wenn die fest­gestell­ten Tat­sachen eine Benachteili­gung wegen der Behin­derung ver­muten lassen, trägt der Arbeit­ge­ber nach § 22 AGG die Beweis­last dafür, dass eine solche Benachteili­gung nicht vor­lag. Der Arbeit­ge­ber muss das Gericht davon überzeu­gen, dass die Benachteili­gung nicht auch auf der Behin­derung beruht. Damit muss er Tat­sachen vor­tra­gen und gegebe­nen­falls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es auss­chließlich andere Gründe waren als die Behin­derung, die zu der weniger gün­sti­gen Behand­lung führten (vgl. BAG 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 21. Juli 2009 — 9 AZR 431/08 — BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; 18. Novem­ber 2008 — 9 AZR 643/07 — AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19), und in seinem Motivbün­del wed­er die Behin­derung als neg­a­tives noch die fehlende Behin­derung als pos­i­tives Kri­teri­um enthal­ten war. Für die Mitursäch­lichkeit reicht es aus, dass die vom Arbeit­ge­ber unter­lasse­nen Maß­nah­men objek­tiv geeignet sind, schwer­be­hin­derten Bewer­bern keine oder weniger gün­stige Chan­cen einzuräu­men, als sie nach dem Gesetz zu gewähren sind (vgl. BAG 21. Juli 2009 — 9 AZR 431/08 — Rn. 44, aaO; Düwell in: LPK-?SGB IX 3. Aufl. § 81 Rn. 67).

b) Die Beklagte kann die Benachteili­gungsver­mu­tung nicht durch den Ver­weis auf die bessere Eig­nung der tat­säch­lich eingestell­ten Frau Mü wider­legen. Eine solche bessere Eig­nung der bevorzugten Mit­be­wer­berin schließt eine Benachteili­gung nicht aus. Dies ergibt sich schon aus dem Wort­laut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach selb­st dann eine Entschädi­gung zu leis­ten ist, wenn der schwer­be­hin­derte Bewer­ber auch bei benachteili­gungs­freier Auswahl nicht eingestellt wor­den wäre (vgl. BAG 3. April 2007 — 9 AZR 823/06 — BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15). Auch aus dem Vor­trag der Beklagten, Frau M habe das Ver­hal­ten des Klägers während der Zeit an der Fach­hochschule K als auf­drän­gend wahrgenom­men, was den Bürg­er­meis­ter ver­an­lasst habe, den Kläger nicht weit­er am Auswahlver­fahren teil­nehmen zu lassen, ergibt sich keine Wider­legung der Ver­mu­tung. Damit hat die Beklagte keine Tat­sachen vor­ge­tra­gen, aus denen sich ergäbe, dass es auss­chließlich andere Gründe waren als die Behin­derung, die zu der weniger gün­sti­gen Behand­lung führten. Der Sachge­halt eines solchen Auswahlkri­teri­ums ste­ht zudem in Frage.

8. Der Entschädi­gungsanspruch des Klägers ist auch nicht aus­nahm­sweise unter dem Gesicht­spunkt des Rechtsmiss­brauchs, § 242 BGB, ausgeschlossen.

a) Der Grund­satz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Recht­en, Recht­sla­gen und Recht­snor­men imma­nente Inhalts­be­gren­zung, wobei eine gegen § 242 BGB ver­stoßende Recht­sausübung oder Aus­nutzung ein­er Recht­slage wegen der Recht­süber­schre­itung als unzuläs­sig ange­se­hen wird (vgl. BGH 16. Feb­ru­ar 2005 — IV ZR 18/04 — NJW-?RR 2005, 619; BAG 28. August 2003 — 2 AZR 333/02 — AP BGB § 242 Kündi­gung Nr. 17 = EzA BGB 2002 § 242 Kündi­gung Nr. 4; 23. Juni 1994 — 2 AZR 617/93 — BAGE 77, 128 = AP BGB § 242 Kündi­gung Nr. 9 = EzA BGB § 242 Nr. 39; Palandt/Grüneberg 70. Aufl. § 242 BGB Rn. 38). § 242 BGB eröffnet damit die Möglichkeit jede atyp­is­che Inter­essen­lage zu berück­sichti­gen, bei der ein Abwe­ichen von der geset­zlichen Recht­slage zwin­gend erscheint (vgl. BAG 23. Novem­ber 2006 — 8 AZR 349/06 — AP BGB § 613a Wiedere­in­stel­lung Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 61; MünchKommBGB/Roth 5. Aufl. § 242 BGB Rn. 180). Zur Konkretisierung atyp­is­ch­er Inter­essen­la­gen wur­den Fall­grup­pen gebildet, in denen ein rechtsmiss­bräuch­lich­es Ver­hal­ten nahe liegt. Hierzu zählt die Fall­gruppe des unredlichen Erwerbs der eige­nen Rechtsstel­lung (vgl. BAG 23. Novem­ber 2006 — 8 AZR 349/06 — aaO; Palandt/Grüneberg aaO Rn. 42 f.). Im Falle von Ansprüchen nach § 15 AGG kann unter Berück­sich­ti­gung aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der Rechtsstel­lung als Bewer­ber dann als unredlich erscheinen, wenn die Bewer­bung allein deshalb erfol­gte, um Entschädi­gungsansprüche zu erlan­gen (vgl. BVer­wG 3. März 2011 — 5 C 16/10 — BVer­wGE 139, 135; Windel RdA 2011, 193, 194 f.; Jacobs RdA 2009, 193, 198 f.; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; HK-?ArbR/Berg 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 9). Das Ver­bot des Rechtsmiss­brauchs ist dabei ein anerkan­nter Grund­satz des Gemein­schaft­srechts (EuGH 9. März 1999 — C-?212/97 — [Cen­tros] Rn. 24, Slg. 1999, I-?1459; 12. Mai 1998 — C-?367/96 — [Kefalas ua.] Rn. 20, Slg. 1998, I-?2843; Däubler/Bertzbach-?Deinert AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 53; Windel RdA 2011, 193 f.). Für die fehlende sub­jek­tive Ern­sthaftigkeit, dh. den Rechtsmiss­brauch ist der Arbeit­ge­ber dar­legungs- und beweis­be­lastet (vgl. MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 15 AGG Rn. 17; HK-?ArbR/Berg 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 9), wobei der Arbeit­ge­ber Indizien vor­tra­gen muss, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ern­sthaftigkeit zuzu­lassen (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; Windel RdA 2011, 193, 195; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 6 Rn. 12). Zwar kön­nte ein krass­es Missver­hält­nis zwis­chen Anforderung­spro­fil der zu vergeben­den Stelle und der Qual­i­fika­tion des Bewer­bers die Ern­sthaftigkeit der Bewer­bung in Frage stellen (vgl. BAG 18. März 2010 — 8 AZR 77/09 — AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2; MünchKommBGB/Thüsing aaO; DFL/Kappenhagen/Kramer 4. Aufl. § 11 AGG Rn. 5). Der Kläger hat jedoch die Staat­sprü­fung für den gehobe­nen Ver­wal­tungs­di­enst abgelegt und besitzt damit die Qual­i­fika­tion für eine Tätigkeit im gehobe­nen nicht­tech­nis­chen Ver­wal­tungs­di­enst. Ein Missver­hält­nis zwis­chen Anforderung­spro­fil und Qual­i­fika­tion des Klägers als Bewer­ber liegt nicht vor.

b) Danach hat die Beklagte keine aus­re­ichen­den Indizien für eine man­gel­nde Ern­sthaftigkeit der Bewer­bung des Klägers vor­ge­tra­gen. Auch wenn der Kläger eine Vielzahl von Entschädi­gungskla­gen gegen öffentliche Arbeit­ge­ber in Folge der Vielzahl sein­er Bewer­bun­gen angestrengt hat, so liegt hierin allein kein aus­re­ichen­der Umstand, der die Bewer­bung bei der Beklagten als sub­jek­tiv nicht ern­sthaft erscheinen ließe (vgl. BAG 21. Juli 2009 — 9 AZR 431/08 — BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; Däubler/Bertzbach-?Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 54). Der Kläger hat im fort­geschrit­te­nen Alter und trotz vorhan­den­er ander­er Beruf­s­ab­schlüsse das Studi­um an der Fach­hochschule K mit der Staat­sprü­fung im Sep­tem­ber 2008 abgeschlossen und sich entsprechend dieser Aus­bil­dung bei ein­er Vielzahl von öffentlich-?rechtlichen Gebi­et­skör­per­schaften bewor­ben. Der Kläger stand zum Zeit­punkt der Bewer­bung in keinem ander­weit­i­gen Arbeitsver­hält­nis. Die Vielzahl der Bewer­bun­gen spricht — auch angesichts des Lebenslaufs des Klägers — mehr für die Ern­sthaftigkeit sein­er Bewer­bung als dafür, dass es dem Kläger nur um die Erlan­gung ein­er Entschädi­gung gegan­gen sein kön­nte. Gegen eine fehlende Ern­sthaftigkeit spricht vor allem aber, dass sich der Kläger auch erfol­gre­ich bewor­ben und eine entsprechende Tätigkeit bei einem öffentlichen Arbeit­ge­ber im Zeitraum 12. Jan­u­ar bis 31. März 2010 in Ober­bay­ern aus­geübt hat.

III. Über die Höhe der dem Kläger nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zuste­hen­den angemesse­nen Entschädi­gung kann der Sen­at nicht abschließend entscheiden.

1. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspiel­raum hin­sichtlich der Höhe der Entschädi­gung ein, um bei der Prü­fung der Angemessen­heit der Entschädi­gung die Beson­der­heit­en jedes einzel­nen Falls berück­sichti­gen zu kön­nen. Hängt die Höhe des Entschädi­gungsanspruchs von einem Beurteilungsspiel­raum ab, ist die Bemes­sung des Entschädi­gungsanspruchs grund­sät­zlich Auf­gabe des Tatrichters (vgl. BAG 17. August 2010 — 9 AZR 839/08 — AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 22. Jan­u­ar 2009 — 8 AZR 906/07 — Rn. 80 mwN, BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

2. Das Lan­desar­beits­gericht wird zu prüfen haben, welche Höhe angemessen ist und ob die Entschädi­gung in der Höhe auf drei Monats­ge­häl­ter begren­zt wer­den muss. Für die Höhe der festzuset­zen­den Entschädi­gung sind Art und Schwere der Ver­stöße sowie die Fol­gen für den schwer­be­hin­derten Kläger von Bedeu­tung (vgl. BAG 21. Juli 2009 — 9 AZR 431/08 — Rn. 55, BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; 18. Novem­ber 2008 — 9 AZR 643/07 — Rn. 60, AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19). Hier­bei wird das Lan­desar­beits­gericht ins­beson­dere zu berück­sichti­gen haben, dass die Beklagte nicht zurechen­bar gegen § 81 Abs. 1 Sätze 4 bis 9, § 82 Satz 2 SGB IX ver­stoßen hat, son­dern allein gegen die Pflicht­en aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX.