BAG zur Arbeit auf Abruf

Arbeit auf Abruf ist die Vere­in­barung zwis­chen den Parteien eines Arbeitsver­trags, dass die Arbeit­sleis­tung entsprechend dem Arbeit­san­fall zu erbrin­gen ist. Leg­en die Parteien dabei im Arbeitsver­trag keine wöchentliche Arbeit­szeit fest, so greift grund­sät­zlich § 12 Abs. 1 S. 3 Teilzeit- und Befris­tungs­ge­setz (TzBfG). Danach gilt eine wöchentliche Arbeit­szeit von 20 Stun­den als vere­in­bart. Eine Abwe­ichung durch ergänzende Ausle­gung des Arbeitsver­trags könne nur unter bes­timmten Voraus­set­zun­gen angenom­men wer­den. Die Regelung des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG müsse nicht sachgerecht sein, und es müssten objek­tive Anhalt­spunk­te dafür beste­hen, dass bei­de Arbeitsver­tragsparteien bei Ver­tragss­chluss eine vom Gesetz abwe­ichende wöchentliche Arbeit­szeit gewollt hät­ten. So entsch­ied kür­zlich das Bun­de­sar­beits­gericht (BAG, Urteil v. 18. Okto­ber 2023 – Az. 5 AZR 22/23).

Der Sachver­halt

Die kla­gende Arbeit­nehmerin ist bei der Beklagten seit dem Jahr 2009 beschäftigt. Der Arbeitsver­trag enthält keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeit­szeit. Die von der Beklagten auf Abruf beschäftigten Arbeit­nehmerin­nen wur­den, inklu­sive der Klägerin, je nach Bedarf in unter­schiedlichem zeitlichen Umfang zur Arbeit herange­zo­gen. Ab dem Jahr 2020 ver­ringerte sich der Umfang des Abrufs im Ver­gle­ich zu den Jahren 2017 bis 2019. Die Klägerin berief sich gegenüber der Beklagten darauf, dass sie in diesen Jahren durch­schnit­tlich für 103,2 Stun­den monatlich abgerufen wor­den sei. Im Wege der ergänzen­den Ver­tragsausle­gung sei dies nun die geschuldete und fol­glich von der Beklagten zu vergü­tende Arbeit­szeit. Die Klägerin ver­langte nun Vergü­tung wegen Annah­mev­erzugs, soweit die Beklagte die Klägerin in den Jahren 2020 und 2021 nicht in diesem Umfang abgerufen habe.

Die Vorin­stanzen hat­ten auf Basis des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG angenom­men, dass die vere­in­barte wöchentliche Arbeit­szeit 20 Stun­den betrage, und gaben infolgedessen der Klage nur teil­weise statt. Die Klage auf Zahlung von Annah­mev­erzugsvergü­tung sei nur insoweit begrün­det, als der Abruf der Arbeit­sleis­tung diese 20 Stun­den in einzel­nen Wochen unter­schrit­ten habe.

Die Entschei­dung des Gerichts

Auch mit ihrer Revi­sion vor dem Bun­de­sar­beits­gericht hat­te die Klägerin nun keinen Erfolg. Würde Arbeit auf Abruf vere­in­bart, müssten die Arbeitsver­tragsparteien nach § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG eine wöchentliche Arbeit­szeit im Arbeitsver­trag fes­tle­gen. Täten sie das nicht, so schließe § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG diese Regelungslücke im Arbeitsver­trag, indem die Vere­in­barung ein­er Arbeit­szeit von 20 Wochen­stun­den geset­zlich fin­giert werde. Davon könne eine Abwe­ichung durch ergänzende Ver­tragsausle­gung nur dann angenom­men wer­den, wenn ein­er­seits die Fik­tion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG im konkreten Fall keine sachgerechte Regelung darstelle. Ander­seits müssten objek­tive Anhalt­spunk­te dafür vor­liegen, dass die Arbeitsver­tragsparteien bei Ken­nt­nis der Regelungslücke bei Ver­tragss­chluss eine andere wöchentliche Arbeit­szeit vere­in­bart hätten.

Diese Voraus­set­zun­gen sah das BAG nicht als gegeben an. Das Abrufver­hal­ten der Arbeit­ge­berin oder des Arbeit­ge­bers über einen bes­timmten Zeitraum, der lange nach Beginn des Arbeitsver­hält­niss­es liege und als willkür­lich her­aus­ge­grif­f­en erscheint, könne keine entsprechende abwe­ichende Vere­in­barung begrün­den. Allein von dem Abrufver­hal­ten lasse sich also auf keinen dahinge­hen­den rechts­geschäftlichen Erk­lärungswillen der Arbeit­ge­berin oder des Arbeit­ge­bers schließen. Das gle­iche gelte auch für die Seite der Arbeit­nehmerin oder des Arbeit­nehmers. Die Bere­itschaft, in einem bes­timmten Zeitraum über das in § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschuldete Maß hin­aus zu arbeit­en, könne nicht darauf schließen lassen, dass die Arbeit­nehmerin oder der Arbeit­nehmer sich zukün­ftig dauer­haft an diese höhere Arbeitswochen­zeit binden wolle.

Eine Voll­textveröf­fentlichung liegt noch nicht vor. Die Pressemit­teilung des BSG find­en Sie hier.

AMETHYST-Kom­men­tar

Auch wenn die Urteils­be­grün­dung noch nicht vor­liegt, lässt sich schon jet­zt sagen: Diese Entschei­dung hat große Rel­e­vanz für die Prü­fung­sprax­is. Denn es kommt dur­chaus häu­fig vor, dass – ger­ade bei Aushil­f­skräften – keine genaue Arbeit­szeit vere­in­bart wird.

Das völ­lige Fehlen von Angaben zur Arbeit­szeit in Verträ­gen oder For­mulierun­gen wie „Arbeit­szeit bis … Stun­den“, „520 EUR max­i­mal“ etc. führen immer wieder zu Bean­stan­dun­gen von Seit­en der Bun­de­sagen­tur für Arbeit und treiben dem anwaltlichen Berater den Schweiß auf die Stirn. Denn üblicher­weise macht die BA genau das, was das BAG jet­zt offen­bar als kor­rek­tes Vorge­hen bestätigt hat: Sie rech­net die nicht angegebene Arbeit­szeit auf 20 Stun­den hoch und ver­langt vom Per­sonal­dien­stleis­ter die Zahlung der Ent­gelt­d­if­feren­zen.  Dann begin­nt die schwierige Suche nach „objektive(n) Anhaltspunkte(n) dafür…, dass die Arbeitsver­tragsparteien bei Ken­nt­nis der Regelungslücke bei Ver­tragss­chluss eine andere wöchentliche Arbeit­szeit vere­in­bart hätten.“

Und die Forderun­gen der Sozialver­sicherung kom­men dann mit Verzögerung noch hin­ter­her. Auch hier dro­ht eine erhe­bliche Nachver­beitra­gung, berech­net auf Basis ein­er Arbeit­szeit von 20 Stun­den wöchentlich.

JH