15. Juni 2022
Mehrmonatige Überlassung ohne Erlaubnis rechtfertigt nicht deren dauerhaften Entzug
Einen recht ungewöhnlichen Fall unserer Kanzlei hat das Landessozialgericht Hamburg am 6. April 2022 — L 2 AL 17/21 (Entscheidungsgründe verlinkt) rechtskräftig entschieden.
Der Sachverhalt ist schnell geschildert: Eine Unternehmensberatung hatte über längere Zeiträume Arbeitnehmer an immer denselben Kunden überlassen. Da die Überlassung ein Nebengeschäft war und die Überlassung weitgehend „unter dem Radar“ lief, wurde es im Jahr 2017 übersehen, die zunächst bestehende Erlaubnis zu verlängern. Somit erfolgte für etwa ein Jahr eine Überlassung dieser ohne Erlaubnis. Im Folgejahr wurde die Erlaubnis wieder beantragt und durch die Bundesagentur für Arbeit auch erteilt. Erst als im Jahr 2019 eine weitere Verlängerung beantragt wurde, fiel dieser Umstand im Rahmen einer Prüfung auf und führt dazu, dass die Bundesagentur für Arbeit die Erlaubnis versagte.
Hiergegen klagten wir für den Erlaubnisinhaber und waren in zweiter Instanz erfolgreich.
Das Landessozialgericht Hamburg führt in seinem Urteil aus, dass der Verleih ohne Erlaubnis natürlich eine schwere Verfehlung sei, die an sich die Versagung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG rechtfertige. Allerdings sei im Bereich der Zuverlässigkeitsprüfung, auf die es bei der Erlaubniserteilung immer ankomme, der Blick in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit zu richten. Deshalb sei eine fahrlässige Verfehlung kein Grund, einem Unternehmen, welches sonst in jeder Hinsicht zuverlässig und beanstandungsfrei arbeitet, die Erlaubnis bis in alle Ewigkeit zu versagen. Die Ahndung einzelner Verstöße sei dagegen vergangenheitsbezogen über das Bußgeldrecht vorzunehmen.
AMETHYST-Kommentar
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Der erste Reflex der Leserinnen und Leser mag dahin gehen, dass hier eine Versagung der Erlaubnis gerechtfertigt wäre. Schaut man sich die gesetzlichen Regelungen allerdings genauer an, ist strikt zwischen Vergangenheits- und Zukunftsbezug zu unterscheiden. Wegen Verstößen gegen das AÜG können Bußgelder verhängt werden (Vergangenheit). Die Erlaubnis darf aber nur entzogen werden, wenn die Besorgnis weiteren Fehlverhaltens besteht (Zukunft). Angesichts eines sonst ausnahmslos korrekten Verhaltens der Erlaubnisinhaberin bestand diese Besorgnis hier nicht.
Als sachbearbeitender Rechtsanwalt empfindet man die Entscheidung dennoch als ein wenig schmucklos. Denn das Gericht hätte die Möglichkeit gehabt, grundsätzlich zur Abgrenzung zwischen Bußgeldbewährung einzelner Tatbestände und den erlaubnisrechtlichen Konsequenzen sowie zur Geltung von Sperr- oder Mindestfristen bei Verstößen gegen Kernpflichten aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Stellung zu beziehen. Das ist leider nicht geschehen, obwohl der Austausch der Parteien in den Schriftsätzen hierzu sehr leidenschaftlich war.
Immerhin bestätigt das Gericht, dass als Beurteilungszeitpunkt für die Prognoseentscheidung nicht der Tatzeitpunkt, sondern der letzte Verhandlungstermin in der Berufung zu gelten hat. Das ist wichtig, denn oft gelingt es Erlaubnisinhabern mit der Zeit, Beanstandungen umzusetzen und fehlerfrei zu arbeiten. Dann ist die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet, trotz möglicher Verfehlungen in der Vergangenheit die Erlaubnis jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erteilen.