28. März 2016
Auswirkungen der AÜG-Reform auf die IT-Branche
Die zum 1.1. 2017 anstehende Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bringt für die IT-Branche tiefgreifende Veränderungen beim Personaleinsatz.
von Jörg Hennig, Referent auf dem 3. Deutschen IT-Rechtstag am 29. April 2016 zum Thema “Flexibler Personaleinsatz im IT-Umfeld”
I. Einführung
Die Diskussion über mögliche Scheinselbstständigkeit bei Freelancern oder über Einsätze abhängig Beschäftigter in Dienst- oder Werkverträgen, die in Wahrheit den Tatbestand der erlaubnispflichtigen Arbeitnehmerüberlassung erfüllen, ist so alt wie die IT-Branche selbst.
Es ist zwar eine Binsenweisheit, dass für IT-Einsätze in arbeits- und vor allem in sozialversi-cherungsrechtlicher Hinsicht dieselben rechtlichen Regelungen wie für alle anderen Solo-Selbstständigen auch gelten; allein die Praxis schein sich wenig darum zu scheren. Nur so viel sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen: kommt es zu einer Prüfung durch die DRV Bund, gilt schon die Urform der Vergütung nach Zeit statt nach Erfolg als wesentliches Indiz für eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Diese Lesart folgt dem Leitbild des Werkvertrages als Musterbeispiel der Selbstständigkeit und der damit verbundenen Übernahme eines Unternehmerrisikos. Dass auch Dienstverträge selbstständig – sprich weisungsfrei – ausgeübt werden können, gilt dagegen zwar in der Theorie, in der Praxis zählt dieses Argument jedoch weniger. Doch selbst wenn man den Dienstvertrag mit der erfolgsunabhängigen Vergütung als selbstständige Vertragsform akzeptiert, ist es mit der Annahme einer rechtlichen Selbstständigkeit der Betroffenen bei Arbeiten im Kundenbetrieb oft nicht weit her. Denn sowohl die Teameinbindung als auch Tätigkeiten vor Ort beim Kunden, die über eine bloße gelegentliche Abstimmung hinausgehen, werden als wesentliches Argument gegen die Selbstständigkeit gewertet, da der Mitarbeiter seine Tätigkeit dann „im Rahmen einer von seinem Vertragspartner bestimmten Arbeitsorganisation“ erbringt.
Im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung verlangen Kunden oftmals bloß das Vorhandensein einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, ohne diese Vertragsform tatsächlich zu wäh-len, um nicht gem. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG in die Arbeitgeberstellung einzurücken. Oder sie verlangen direkt einen Personaleinsatz auf Basis von Überlassungsverträgen. Das ist schon schwieriger, denn die Dienstleister müssen sich dafür tief in das Tarifrecht der Zeitarbeit oder in Equal-Treatment-Regelungen einarbeiten, die für diese Einsätze zwingend gelten.
II. Der Gesetzesentwurf v. 17.02.2016 zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze
1. Hintergrund
Am 17.02.2016 hat Andrea Nahles den zweiten Referentenentwurf zur Änderung des Arbeit-nehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vorgelegt, der vor allem die Arbeitneh-merüberlassung stark in den Fokus rückt. Das Inkrafttreten ist für den 1. Januar 2017 vorge-sehen. Werkverträge oder auch Bestimmungen für Einsätze von Solo-Selbstständigen spielen in dem aktuellen Entwurf keine wesentliche Rolle mehr. Sollte der neu zu schaffende § 611a. BGB ursprünglich eine genauere Definition selbstständiger Verträge (vor allem von Werkver-trägen) ermöglichen (vgl. hierzu den ersten Referentenentwurf vom 16.11.2015), ist davon nicht mehr viel geblieben. Denn nun soll nur noch die bisherige Definition des Arbeitnehmers durch das BAG in Gesetzesform gegossen werden, womit lediglich der Ist-Zustand verfestigt wird. Auseinanderseitzungen über die Scheinselbstständigkeit wird es also weiter geben wie bisher.
2. Änderungen im AÜG
Hier muss die IT-Branche sich auf gravierende Änderungen einstellen.
aa. Neue Überlassungshöchstdauer
Das „Herzstück“ der Koalitionsvereinbarung ist die beabsichtigte Beschränkung der Überlas-sungshöchstdauer auf 18 Monate an denselben Entleiher (§ 1 Abs. 1b S. 1 AÜG‑E). Die Höchstdauer kann nur verlängert werden, sofern ein Tarifvertrag der Einsatzbranche dies vorsieht und der Entleiher tarifgebunden ist (1 Abs. 1b S.3 AÜG‑E). Für die Tarifbindung ist gem. § 3 Abs. 1 TVG jedoch die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband erforderlich, woran es oftmals fehlen wird, zumal es, sofern IT-Unternehmen auf der Kundenseite stehen, schon regelmäßig an einem aktiven Arbeitgeberverband fehlt, der solche Tarifverträge aus-handeln könnte. Nicht tarifgebundene Entleiher dürfen abweichende tarifliche Regelungen zur Überlassungshöchstdauer bis zu einer Grenze von 24 Monaten inhaltsgleich in Betriebs-vereinbarungen übernehmen. Ohne Betriebsrat verbleibt es bei der Höchstfrist von 18 Monaten.
Für mehrere Einsätze sieht der Gesetzesentwurf eine Unterbrechungsfrist von 6 Monaten vor, ab der ein wiederholter Einsatz bei demselben Entleiher als “Neueinsatz” bewertet wird. Eine Überschreitung der Überlassungshöchstdauer hat erhebliche Konsequenzen: Es drohen nicht nur die Versagung der Erlaubnis bei schwerwiegenden Verstößen, sondern auch Bußgelder von bis zu 30.000 Euro (§ 16 Abs. 1 Nr. 1d, Abs. 2 AÜG‑E) und die „Fiktion“ des Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher (§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG‑E).
Immerhin besteht für die Beachtung der Überlassungshöchstdauer eine geräumige Frist. Die Berechnung des 18-Monatszeitraums beginnt erst mit Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.2017, so dass Überlassungen frühestens am 30.06.2018 unzulässig werden.
bb. Equal Treatment und Equal Pay
In § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 AÜG(-E) ist der Equal Treatment-Grundsatz verankert, der eine Gleichstellung von Zeitarbeitnehmern hinsichtlich sämtlicher Arbeitsbedingungen mit dem Einsatzbetrieb vorsieht. Ein Abweichen davon ist bei Bezugnahme auf einen Zeitarbeitstarif-vertrag möglich (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 AÜG(-E)). IT-Dienstleister dürfen hierbei jedoch schon bisher die geltenden Branchenzuschlagstarifverträge nicht außer Acht lassen, die je nach Einsatzbranche – z.B. im Metallsektor – Zuschläge auf den Zeitarbeitstariflohn von bis zu 50 % nach neunmonatiger Einsatzdauer vorsehen. Bei einem Grundlohn von 20,00 € West bzw. 18,03 € Ost in der höchsten Entgeltstufe der Tarifverträge von iGZ und BAP können sich bei voller Auslastung somit tarifliche Monatslöhne von über 6.500 € ergeben, die in jedem Fall bezahlt werden müssen. Liegen die Gehälter auch in Einzelfällen darunter, müssen die Tariflöhne in jedem Monat exakt ausgerechnet werden – mit Mehrarbeitszuschlägen, Arbeitszeitkonten etc.
Selbst bei Anwendung von Tarifverträgen ist ein Abweichen vom Equal Treatment gem. § 8 Abs. 4 AÜG‑E durch Tarifverträge der Zeitarbeit zukünftig nicht mehr unbegrenzt sondern nur noch für die ersten neun Einsatzmonate bei demselben Entleiher möglich, im Anwendungs-bereich von Branchenzuschlagstarifverträgen für eine Dauer von bis zu 15 Monaten. In den meisten Dienstleistungsbereichen existieren diese Branchenzuschlagstarifverträge jedoch nicht, so dass der Regelfall die nur neunmonatige Equal Treatment-Unterschreitung sein dürfte. Eine Übergangsfrist sieht der Regierungsentwurf an dieser Stelle nicht vor.
cc. Verbot der Fallschirmlösung
Das praktisch größte Problem dürfte jedoch in dem drohenden Verbot der Fallschirmlösung liegen, mit der sich sehr viele Dienstleister derzeit gegen eine mögliche unzulässige Arbeit-nehmerüberlassung absichern. Sie schließen ihre Verträge als Dienst- oder Werkverträge mit dem Kunden und können, wenn sich eine Tätigkeit im Nachhinein als Arbeitnehmerüberlassung herausstellt, noch immer ihre auf Vorrat beantragte Erlaubnis vorweisen, um den Einsatz zu legalisieren. Diese „Vorratserlaubnis“ allein wird zukünftig jedoch nicht mehr zur Absicherung genügen, denn das Gesetz verlangt in § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG‑E im Vorhinein eine Festlegung des Dienst-leisters auf den Vertragstyp (Dienst / Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung). Liegt Arbeitnehmerüberlassung ohne entsprechende Bezeichnung vor, drohen Bußgelder selbst dann, wenn der Dienstleister eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzen sollte. Das bedeutet: statt irgendwelcher Hilfslösungen wie dem Schaffen von Brückenköpfen o.ä. dürfte die Zahl der Einsätze unter ANÜ-Flagge zukünftig sprunghaft ansteigen! Erfolgt keine Offenlegung einer Arbeitnehmerüberlassung, dann kann dies sowohl für Verleiher als auch Entleiher zu einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro führen (§ 16 Abs.1 Nr.1c, Abs.2 AÜG‑E).
Fazit:
IT-Dienstleister sind gut beraten, sich sehr frühzeitig mit dem Gesetzesentwurf zu befassen und ihre Einsatzmodelle auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen.