19. Januar 2017

Mischbetriebe: selbstständige Betriebsabteilung zur Anwendung der Tarifverträge der Zeitarbeit kann nicht verlangt werden

Das Lan­dessozial­gericht Ham­burg hat am 23.09.2015 (L 2 AL 64/13) entsch­ieden, dass die Bun­de­sagen­tur für Arbeit von Mis­ch­be­trieben nicht ver­lan­gen kann, eine selb­st­ständi­ge Betrieb­sabteilung zur Anwen­dung der Zeitar­beit­star­ifverträge (iGZ oder BAP) zu bilden.
Der Stre­it ist ein Dauer­bren­ner und der Sachver­halt tritt hun­dert­fach auf. Mis­ch­be­triebe, die sowohl Arbeit­nehmerüber­las­sung als auch andere Zwecke ver­fol­gen, z.B. Tätigkeit­en im IT‑, Engi­neer­ing oder auch im Pro­duk­tions­bere­ich sind verpflichtet, ihren Arbeit­nehmern die Arbeits­be­din­gun­gen des Kun­den­be­triebes (Equal Pay bzw. Equal Treat­ment) zu gewähren. Anders als reine Zeitar­beit­sun­ternehmen kön­nen sie nach Auf­fas­sung der Bun­de­sagen­tur für Arbeit von dieser Verpflich­tung nicht durch Anwen­dung der Zeitar­beit­star­ifverträge abwe­ichen, sofern sie nicht über­wiegend Arbeit­nehmerüber­las­sung betreiben.
Die BA berief sich für ihre Recht­sauf­fas­sung stets auf den Branchen­bezug der Zeitar­beit­star­ifverträge mit der Folge, dass Fir­men ein­er anderen Branche diese Branchen­tar­ifverträge nicht anwen­den dürften, obwohl sie iden­tis­che Löhne zahlten, wie ihre reinen Zeitar­beit­skonkur­renten. Dass diese Fir­men allerd­ings Mit­glieder der Zeitar­beitsver­bände mit Tar­if­bindung wer­den kön­nten und zugle­ich der Grund­satz der Tar­ifein­heit, aus dem sich die Mei­n­ung der BA ableit­ete, bere­its im Jahr 2010 durch das Bun­de­sar­beits­gericht aufge­hoben wurde (BAG v. 7. Juli 2010 – 4 AZR 549/08), ignori­erte die BA bish­er. Folge war stets eine etwas umständliche Schaf­fung selb­st­ständi­ger Betrieb­sabteilun­gen, in denen die Zeitar­beit über­wog. Dann näm­lich, so die BA, sei die Bezahlung nach Zeitar­beit­star­ifverträ­gen zulässig.
Dieser Auf­fas­sung ist nun das LSG Ham­burg ent­ge­gen getreten:

„In gle­ich­er Weise wie tar­ifge­bun­de­nen soll auch tar­i­funge­bun­de­nen Arbeitsver­tragsparteien ermöglicht wer­den, “die Arbeits­be­din­gun­gen flex­i­bel zu gestal­ten und die Leis­tun­gen für Zeit­en des Ver­leihs und Nichtver­leihs in einem Gesamtkonzept zu regeln” (vgl. BT-Drs. 15/25, S. 38), indem durch rechtswirk­same tar­i­fliche Regelun­gen auch zu Ungun­sten der Lei­har­beit­nehmer vom Gle­ich­stel­lungs­ge­bot des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 1. Halb­satz AÜG abgewichen und einzelver­traglich die Anwen­dung eines bes­timmten Tar­ifver­trags vere­in­bart wird, der nach seinen Regelun­gen einen ein­deuti­gen Abwe­ichungswillen vom geset­zlichen Gle­ich­stel­lungs­ge­bot bein­hal­tet und der gel­ten würde, wenn eine Tar­if­bindung bestünde.“

Zwar müsse ein Tar­ifver­trag an sich ein­schlägig sein; hier­für genüge es jedoch, wenn ein Per­sonal­dien­stleis­ter entsprechend der Satzung jeden­falls Mit­glied in einem der Arbeit­ge­berver­bände der Branche sein könne, so das Gericht. Dies ist aber sowohl nach der Satzung des BAP (Bun­desver­band der Per­sonal­dien­stleis­ter e.V.) als auch nach der Satzung des iGZ (Inter­essen­ver­band Deutsch­er Zeitar­beit­sun­ternehmen e.V.) der Fall. Dass das betrof­fene Unternehmen über­wiegend Zeitar­beit betreibe, jeden­falls in einem selb­st­ständi­gen Betrieb­steil, hält das Gericht für nicht erforder­lich. Denn ein Wille des Geset­zge­bers oder der Tar­if­parteien, dass in den Gel­tungs­bere­ich der von ihnen aus­ge­han­del­ten Tar­ifverträge nur solche Mis­ch­be­triebe fall­en soll­ten, die arbeit­szeitlich über­wiegend Arbeit­nehmerüber­las­sung betreiben, sei wed­er in den Regelun­gen des AÜG noch denen der TV Zeitar­beit BAP/DGB zum Aus­druck gekom­men. Eher tre­ffe das Gegen­teil zu:

Hätte der Geset­zge­ber im Inter­esse eines weit­erge­hen­den Schutzes der Lei­har­beit­nehmer Mis­ch­be­triebe wie den­jeni­gen der Klägerin, die arbeit­szeitlich nicht über­wiegend Arbeit­nehmerüber­las­sung betreiben, von der Möglichkeit der arbeitsver­traglichen Inbezug­nahme von Zeitar­beit­star­ifverträ­gen auss­chließen wollen, hätte es nahegele­gen, deren Anwen­dung für nicht tar­ifge­bun­dene Parteien entsprechend zu regeln. Dies ist jedoch nicht geschehen. Ein solch­es Regelungsmod­ell lag beispiel­sweise dem Gesetz über zwin­gende Arbeits­be­din­gun­gen bei gren­züber­schei­t­en­den Dien­stleis­tun­gen (Arbeit­nehmer­entsendege­setz (AentG)) zu Grunde. …

Die Frage, ob durch die Dop­pel­gel­tung von Zeitar­beits- und ggf. anderem Branchen­tar­ifver­trag eine unzuläs­sige Tar­ifkonkur­renz entste­he, verneinte das Gericht eben­falls mit fol­gen­der Begründung:

Für die hier vorzunehmende Ausle­gung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 AÜG hat die Frage, ob eine Tar­ifkonkur­renz oder eine Tar­if­plu­ral­ität hinzunehmen oder nach dem Grund­satz der Tar­ifein­heit aufzulösen sei, keine Bedeu­tung. Denn für die bis heute tar­i­funge­bun­dene Klägerin stellt sich diese Frage eben­so wenig wie für jeden anderen tar­i­funge­bun­de­nen Arbeit­ge­ber, der von der ihm in § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 AÜG eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen will, arbeitsver­traglich mit den bei ihm beschäftigten Lei­har­beit­nehmern die Anwen­dung eines Zeitar­beit­star­ifw­erks zu vere­in­baren und dadurch dem Gle­ich­stel­lungs­ge­bot zu ent­ge­hen. Der Fall ein­er Tar­if­plu­ral­ität oder ein­er Tar­ifkonkur­renz, der der Auflö­sung durch eine tar­ifrechtliche Kol­li­sion­sregel bedarf, kann bei einem tar­i­funge­bun­de­nen Arbeit­ge­ber allein durch die bloße arbeitsver­tragliche Bezug­nahme auf einen oder mehrere Tar­ifverträge von vorn­here­in nicht entste­hen (BAG v. 16. Mai 2012 – 4 AZR 290/10). Es kann daher im vor­liegen­den Ver­fahren offen­bleiben, wie eine tar­ifrechtliche Kol­li­sion im Falle ein­er Tar­if­plu­ral­ität oder Tar­ifkonkur­renz aufzulösen gewe­sen wäre. Hier dürfte nach der Recht­sprechung des BAG eine Tar­if­plu­ral­ität wohl hinzunehmen (BAG v. 7. Juli 2010 – 4 AZR 549/08) und eine Tar­ifkonkur­renz wohl nach wie vor nach dem Prinzip der Sach­nähe oder Spezial­ität aufzulösen gewe­sen sein (BAG v. 16. Mai 2012 – 4 AZR 290/10).

Indes war bei dem entsch­iede­nen Sachver­halt das „Tar­ifein­heits­ge­setz“ noch nicht in Kraft getreten, so dass sich hier­aus eine andere Beurteilung ergeben könne:

Soweit sich für die Zeit ab Inkraft­treten des Geset­zes zur Tar­ifein­heit (Tar­ifein­heits­ge­setz) vom 3. Juli 2015 (BGBl. I S. 1130) am 10. Juli 2015 (Art. 3 Tar­ifein­heits­ge­setz) durch dessen Bes­tim­mungen, ins­beson­dere die durch dieses Gesetz in das TVG einge­fügte Kol­li­sion­snorm des § 4a TVG, Änderun­gen ergeben soll­ten, kon­nte hier­durch die Recht­slage in dem hier stre­it­i­gen Zeitraum von Mai 2010 bis Mai 2011 nicht bee­in­flusst wer­den; zudem bliebe abzuwarten, ob die Bes­tim­mungen des Tar­ifein­heits­ge­set­zes ver­fas­sungsrechtlich­er Prü­fung standhalten.

Das Urteil ist noch nicht recht­skräftig. Den­noch: für Mis­ch­be­triebe ist es eine erfreuliche, aber auch drin­gend nötige Klarstellung.