1. Februar 2016

Fremdpersonal in Matrixstrukturen III

Der ganze Beitrag ist in der Zeitschrift Arbeit und Arbeit­srecht 11/2015 erschienen. Ver­fass­er ist RA Jörg Hen­nig, AMETHYST Recht­san­wälte, Berlin.

6. Mitbes­tim­mung nach § 99 BetrVG

Bei tat­säch­lich­er Arbeit­sauf­nahme eines Zeitar­beit­nehmers beim Entlei­her beste­ht ein Mitbes­tim­mungsrecht des Betrieb­srats als Ein­stel­lung gem. § 99 BetrVG. Die „Ver­set­zung“ in ein  anderes Konz­er­nun­ternehmen stellt für den aufnehmenden Betrieb eben­falls eine Ein­stel­lung dar. Für den abgeben­den Betrieb ist diese „Ver­set­zung“ mitbes­tim­mungs­frei, sofern das Auss­chei­den aus dem bish­eri­gen Betrieb dauer­haft erfol­gt, anderen­falls, oder wenn der Arbeit­nehmer ihr wider­spricht, bleibt sie mitbes­tim­mungspflichtig. Das Mitbes­tim­mungsrecht wird jedoch erst aus­gelöst, wenn für den Arbeit­nehmer auf Grund des ange­ord­neten Wech­sels ein in seinem konkreten Arbeit­sall­t­ag spür­bares anderes “Arbeit­sregime” gilt. Das kann z. B. darin liegen, dass die im Ein­satz unmit­tel­baren Vorge­set­zten über die Befug­nis zur Erteilung bloßer Arbeit­san­weisun­gen hin­aus rel­e­vante Per­son­al­befug­nisse, etwa die Kom­pe­tenz zur Ausübung von Diszi­pli­na­rauf­gaben oder auch zur Leis­tungs­beurteilung besitzen und eigen­ver­ant­wortlich wahrnehmen (BAG, Beschl. v. 17.6.2008 – 1 ABR 38/07). Indes ist nicht erforder­lich, dass es stets zu ein­er Über­tra­gung diszi­pli­nar­isch­er Befug­nisse kommt, um von ein­er Ver­set­zung auszuge­hen (so auch Kort, a. a. O.), sofern sich das geän­derte Arbeit­sregime aus anderen Aspek­ten wie ein­er völ­lig anderen Tätigkeit o. ä. ergibt.

Für Zeitar­beit­nehmer gilt die Beson­der­heit, dass ihre „Ver­set­zung“ gem. § 95 Abs. 3 Satz 2 BetrVG grund­sät­zlich mitbes­tim­mungs­frei ist. Denn nach § 95 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gilt die Bes­tim­mung des Arbeit­splatzes nicht als Ver­set­zung, wenn Mitar­beit­er nach der Eige­nart ihres Arbeitsver­hält­niss­es üblicher­weise nicht ständig an einem bes­timmten Arbeit­splatz beschäftigt wer­den (BAG, Urt. v. 26.1.1993 – 1 AZR 303/92). Das ist bei Zeitar­beit­nehmern der Fall.

Die Über­tra­gung fach­lich­er Direk­tion­srechte auf die steuernde Ein­heit bleibt bei Zeitar­beit­nehmern im Gegen­satz zur Über­tra­gung bei den fest angestell­ten Per­so­n­en daher als Ver­set­zung in der übernehmenden Ein­heit immer mitbes­tim­mungs­frei. Ein Mitbes­tim­mungsrecht des Betrieb­srats in der steuern­den Ein­heit beste­ht nur, wenn es zur tat­säch­lichen Eingliederung in eine andere organ­isatorische Ein­heit – also einen anderen Betrieb – kommt, die eine „Ein­stel­lung“ i. S. d. § 99 BetrVG darstellt.

7. „Mitzählen bei Betriebsgrößen“

In betrieb­sver­fas­sungsrechtlich­er und in kündi­gungsrechtlich­er Hin­sicht spielt auch die Betrieb­szuge­hörigkeit und somit das Mitzählen bei Betrieb­s­größen eine große Rolle.

Das BAG hat­te seine „Zwei-Kom­po­nen­ten-Lehre“, wonach für die Annahme ein­er Betrieb­szuge­hörigkeit stets ein Arbeitsver­trag und eine tat­säch­liche Eingliederung erforder­lich seien, im Jahr 2013 aufgegeben (BAG, Beschl. v. 13.3.2013 – 7 ABR 69/11). Das bedeutet zum einen, dass Zeitar­beit­nehmer bei der Betrieb­s­größe des Entlei­hers (für die Größe des Betrieb­srats, Freis­tel­lun­gen etc.) mitzählen, zum anderen jedoch auch, dass das BAG eine dop­pelte Betrieb­szuge­hörigkeit (durch Ver­trag und durch tat­säch­liche Eingliederung) anerken­nt, sofern eine hin­re­ichend inten­sive Eingliederung des Arbeit­nehmers in seinen Ein­satz­be­trieb beste­ht. Die Abgren­zungskri­te­rien für die hin­re­ichend inten­sive Eingliederung sind vage. Da sich Arbeit­nehmerüber­las­sung und Matrix­ein­satz hin­sichtlich der Direk­tion­srecht­süber­tra­gung qual­i­ta­tiv nicht unter­schei­den, wird man sie in der Frage, ab wann diese Mitar­beit­er in der steuern­den Ein­heit hin­sichtlich der Betrieb­s­größe mitzählen, gle­ich stellen müssen. Geht man bei Zeitar­beit­nehmern i. d. R. von ein­er inten­siv­en Bindung zur steuern­den Ein­heit aus, die die Arbeit­nehmer ein­set­zt und damit fach­lichen Weisun­gen unter­wirft, wird es oft­mals an der notwendi­gen „inten­siv­en Bindung“ des Betrof­fe­nen zur übernehmenden Ein­heit fehlen, da wed­er ein Arbeitsver­trag mit der übernehmenden Ein­heit beste­ht noch eine tat­säch­liche Eingliederung durch Auf­nahme der Tätigkeit dort begrün­det wird. Anders ist dies bei in der übernehmenden Ein­heit fest angestell­ten Arbeit­nehmern, die bere­its auf­grund ihrer ver­traglichen Bindung nach der BAG Recht­sprechung (v. 13.3.2013 a. a. O.) bei dieser „betrieb­szuge­hörig“ sind.

Zwar besitzen Zeitar­beit­nehmer keinen Kündi­gungss­chutz, für die Belegschaftsstärke im Hin­blick  auf die Anwend­barkeit der Schwellen­werte des KSchG zählen sie jedoch mit (BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, AuA 9/13, S. 548), sofern ihr Ein­satz auf einem “i. d. R.” vorhan­de­nen Per­son­albe­darf beruht. Kommt es also zu ein­er dauer­haften Eingliederung, sind die Zeitar­beit­nehmer entsprechend den obi­gen Regeln bei der Berech­nung der Betrieb­s­größe mit zu berücksichtigen.

8. Haf­tung für Sozialversicherungsbeiträge

Über­lassen die Ver­ant­wortlichen einen Lei­har­beit­nehmer „in die Matrix“, stellt sich auch die Frage, welch­er von zwei möglichen „Entlei­h­ern“ in der Matrix (die übernehmende oder die steuernde Ein­heit) für möglicher­weise nicht abge­führte Sozialver­sicherungs­beiträge des Ver­lei­hers haftet.

Gem. § 28e SGB IV haftet der „Entlei­her“ für die Erfül­lung der Zahlungspflicht des Ver­lei­hers bei einem wirk­samen Über­las­sungsver­trag wie ein selb­stschuld­ner­isch­er Bürge, soweit ihm  Arbeit­nehmer gegen Vergü­tung zur Arbeit­sleis­tung über­lassen wor­den sind.

Auch wenn die Vorschrift nach ihrem Wort­laut an das Beste­hen oder Nichtbeste­hen eines Ver­tragsver­hält­niss­es der Arbeit­nehmerüber­las­sung anknüpft (mit oder ohne beste­hende Erlaub­nis, § 28e Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 Satz 3 SGB IV), ist die Nach­haf­tung für Sozialver­sicherungs­beiträge hier­von unab­hängig zu bew­erten. Es genügt für die Nach­haf­tung näm­lich bere­its, wenn der Ein­satz eines Arbeit­nehmers fak­tisch eine Arbeit­nehmerüber­las­sung darstellt. Und das ist anzunehmen, wenn durch die steuernde Ein­heit fach­liche Direk­tion­srechte (in der Matrix) aus­geübt wer­den, wenn damit eine fehlende Kon­trolle der Arbeit­sausübung durch einen möglichen Ver­tragspart­ner (den Ver­lei­her) ein­herge­ht. In diesem Fall ist es die Ein­heit, die das Direk­tion­srecht tat­säch­lich ausübt, die für die Zahlung der Sozialver­sicherungs­beiträge einzuste­hen hat (SG München, Urt. v. 21.11.2013 – S 15 R 1528/11).

Wichtig

Auch wenn dieser Fall, soweit ersichtlich, noch nicht entsch­ieden ist, muss die steuernde Ein­heit neben der übernehmenden Ein­heit mit ein­er Nach­haf­tung nach § 28e SGB IV rechnen.

9. Faz­it

Matrix­ein­sätze von Fremd­per­son­al besitzen Beson­der­heit­en, die sich mit den gel­tenden Regelun­gen zum Ein­satz eigen­er Arbeit­nehmer in der Matrix nur bed­ingt lösen lassen. Unternehmen sind gut berat­en, ver­gle­ich­bare Vorgänge zu analysieren und rechtlich hin­re­ichend abzusichern.

 

Teil 1 und Teil 2 find­en Sie hier.